Entschädigungsansprüche gegen den Staat wegen Schließungen oder Absagen aufgrund der Corona-Pandemie?

Sowohl die Bundes- wie auch die jeweilige Landesregierung der Bundesländer haben seit Beginn der Corona-Pandemie diverse Maßnahmen beschlossen, um Unternehmen und Selbständigen zu helfen. Unabhängig von der Frage, ob diese Maßnahmen alle zielführend sind und tatsächlich auch in der Praxis umgesetzt werden, ist diesen Maßnahmen aber eines gemeinsam: Es sind freiwillige Hilfsangebote des Staates.

Ungeachtet dessen stellt sich natürlich die Frage, ob z.B. ein Unternehmen oder ein Selbständiger, der von Maßnahmen der Bundes- oder einer Landesregierung zur Bekämpfung der Pandemie betroffen ist, sei es, weil er sein Geschäft schließen musste, sei es, weil eine Veranstaltung abgesagt wurde, einen Entschädigungsanspruch gegen den Bund oder ein Bundesland aufgrund der staatlichen Maßnahmen hat.

Jedes Bundesland hat eine für das jeweilige Bundesland geltende Rechtsverordnung erlassen, in denen einzelnen Maßnahmen geregelt sind, in Baden-Württemberg z.B. ist dies die „Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2“ (Corona-VO). Diese Rechtsverordnung, also z.B. die Corona-VO Baden-Württemberg, hat ihre sog. Ermächtigungsgrundlage im Infektionsschutzgesetz (IfSG) des Bundes. In § 32 IfSG werden nämlich die Landesregierungen ermächtigt, unter bestimmten Voraussetzungen Rechtsverordnungen zu erlassen.

Damit basieren sämtliche, von den Bundesländern erlassenen Rechtsverordnungen und damit auch sämtliche Maßnahmen auf dem Infektionsschutzgesetz.

Tatsächlich enthält das Infektionsschutzgesetz in § 56 und § 65 Entschädigungsregelungen.

Allerdings gibt es ein Problem:

Beide Vorschriften „passen“ vom Wortlaut her nicht auf die meisten Fallkonstellationen.

§ 56 Abs. 1 IfSG gewährt einen Entschädigungsanspruch nur Personen, die infiziert sind oder jedenfalls in Verdacht einer Infektion stehen. Diese Vorschrift betrifft also nur eine Fallgestaltung, bei der eine bestimmte Person z.B. mit dem Virus infiziert ist und diese Person aufgrund behördlicher Anordnung in Quarantäne zuhause bleiben muss, sodass sie ihr Geschäft nicht öffnen bzw. betreiben kann bzw. darf.

Bei den wenigsten Unternehmen oder Selbständigen war oder ist dies sicherlich der Fall: Viele mussten ihr Geschäft schließen oder Veranstaltungen absagen, ohne dass bei diesen Personen überhaupt eine Infektion durch das Virus besteht oder bestand.

§ 65 IfSG wiederum regelt Entschädigungsansprüche in Fällen, in denen aufgrund einer behördlichen Maßnahme zur Gefahrenverhütung u.a. ein „nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil“ verursacht wurde. Die jeweiligen Corona-Verordnungen der Bundesländer wurden mit sehr großer Wahrscheinlichkeit aber nicht zur Gefahrenverhütung erlassen, sondern zur Gefahrenbekämpfung. Dies wiederum bedeutet, dass die Paragrafen, auf die § 65 IfSG verweist, nicht für die jetzige Situation „passen“, so dass auch hier vom Wortlaut her die Entschädigungsregelung nicht einschlägig ist.

Nun stellt sich die Frage, ob man nicht trotzdem auf diese Vorschriften zurückgreifen kann, also eine analoge Anwendung der Entschädigungsansprüche in Betracht kommt.

Das – aus meiner Sicht insoweit auch naheliegende und nachvollziehbare – Argument könnte natürlich ein „Erst-Recht“-Schluss sein:

Wenn schon derjenige, der infiziert ist und deswegen in Quarantäne muss, einen Entschädigungsanspruch hat, dann muss doch erst recht auch derjenige, der nicht infiziert ist, aber ebenfalls von solch einschränkenden Maßnahmen betroffen ist, einen Entschädigungsanspruch haben.

Ähnliches gilt für den Anwendungsbereich des § 65 IfSG: Wenn bereits bei gefahrenverhütenden Maßnahmen Entschädigungsansprüche zugesprochen werden, dann muss dies auch für Maßnahmen, die zur Gefahrenbekämpfung vorgenommen werden, gelten.

Insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass in den meisten Fällen Unternehmen oder Personen betroffen sind, die weder infiziert sind noch von denen eine konkrete Gefahr ausgeht bzw. bei denen jedenfalls das Bestehen einer konkreten Gefahr gar nicht nachweisbar ist. Juristisch nennt man die so Betroffenen „Nichtstörer“.

Ob solche „Nichtstörer“ sodann Entschädigungsansprüche nach dem Infektionsschutzgesetz geltend machen können, ist derzeit ungeklärt.

Ebenso wie die Frage, ob im Infektionsschutzgesetz sämtliche Entschädigungsansprüche abschließend geregelt werden oder ob unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten Entschädigungsansprüche greifen können. Es stellt sich also dann die Frage:

Kann jemand, auf den der Wortlaut aus den Regelungen aus dem IfSG nicht passt, auf andere gesetzliche Regelungen zurück greifen und daraus einen Entschädigungsanspruch herleiten?

Soweit ersichtlich, gibt es bislang dazu nur eine Entscheidung, die sich mit der Thematik befasst, und zwar vom Landgericht Heilbronn (Urteil vom 29.04.2020, Az.: I 4 O 82/20). In diesem Verfahren hatte eine Betreiberin eines Friseursalons im Wege der einstweiligen Verfügung einen Vorschuss für eine Entschädigung eingefordert, basierend auf den Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes. Die Selbständige argumentierte, dass sie trotz Schließung weiterhin Miete und sonstige Kosten habe, jegliche Einnahmen aber weggebrochen seien, so dass sie in eine existenzbedrohende Lage komme und ihr aufgrund der Maßnahmen des Landes – die Anordnung der Schließung des Friseursalons aufgrund der Corona-VO des Landes – eine Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz dem Grunde nach zustehe. Ist z.B. ein Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG gegeben, so gewährt § 56 Abs. 12 IfSG auch einen Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses. Das Landgericht Heilbronn hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung aber zurückgewiesen. Das Landgericht argumentierte zum einen damit, dass die Antragstellerin bereits Soforthilfe vom Land Baden-Württemberg in Höhe von EUR 9.000,00 erhalten habe, was berücksichtigt werden müsse. Zum anderen war das Landgericht der Meinung, dass der Entschädigungsanspruch aus § 56 IfSG nicht auf die Antragstellerin anwendbar sei, weil sie nicht selbst durch eine konkrete Maßnahme einer Behörde betroffen sei, sondern „nur“ allgemein aufgrund der Corona-VO des Landes ihren Betrieb habe schließen müssen. Das Landgericht ist damit der Meinung, dass ein Nichtstörer aus § 56 IfSG keinen Entschädigungsanspruch herleiten könne. Da das Infektionsschutzgesetz insoweit alle Entschädigungsansprüche abschließend regele, sei ein Rückgriff auf andere Entschädigungsregelungen ausgeschlossen, mithin komme kein Entschädigungsanspruch für die Unternehmerin in Betracht, so dann die abschließende Argumentation des Gerichts.

Im Rahmen dieser Entscheidung zeigt sich vermutlich das große Problem für potentielle Antragsteller, die eine Entschädigung vom Land erhalten wollen:

Insbesondere die unteren Instanzen werden vermutlich mehr als zurückhaltend sein, wenn es um die Gewährung solcher Ansprüche geht. Vermutlich auch und gerade unter dem Gesichtspunkt, dass natürlich sehr viele Unternehmen landes- und bundesweit von den Schließungsanordnungen betroffen waren bzw. immer noch sind. Würde man einem Selbständigen oder Unternehmen einen solchen Entschädigungsanspruch zusprechen, so würde dies vermutlich eine „Prozesslawine“ nach sich ziehen: Auch alle anderen Gewerbetreibenden und Selbständigen würden dann einen solchen Entschädigungsanspruch geltend machen und ungeachtet der Frage, in welcher Höhe ein solcher Entschädigungsanspruch überhaupt geltend gemacht werden kann, käme dadurch eine sehr große finanzielle Belastung auf die Länder, die in aller Regel Beklagter sind, zu.

Derjenige, der einen solchen Anspruch geltend machen will, muss also damit rechnen, dass das Bundesland sicherlich nicht freiwillig zahlen wird, darüber hinaus auch ein Erfolg in den unteren Instanzen vor den Landgerichten, womöglich auch vor den Oberlandesgerichten, nicht sehr erfolgversprechend sein wird. Ein entsprechender Kläger oder Antragsteller müsste also einen langen Atem haben und gegebenenfalls bis vor den Bundesgerichtshof ziehen.

Ein weiterer, anderer Ansatzpunkt könnte noch darin liegen, dass in einem Eilverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg, in dem es um einen Eilantrag auf Öffnung eines Geschäftes ging, der VGH Baden-Württemberg in seiner Entscheidung angedeutet hat, dass die Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg womöglich nichtig sein könnte. Grund dafür ist, dass die Corona-VO von der Landesregierung ohne vorherige Abstimmung im Parlament erlassen wurde, also der sog. Parlamentsvorbehalt nicht beachtet worden ist. Da es sich bei diesem Verfahren ebenfalls um ein Eilverfahren handelte, hat sich der VGH dazu aber nicht abschließend geäußert, sondern im Zuge einer Abwägung ausgeführt, dass über die Rechtmäßigkeit der Corona-VO erst in einem Hauptsacheverfahren (sprich in frühestens zwei bis drei Jahren) zu entscheiden sein wird.

Würde sich die vom Land Baden-Württemberg erlassene Corona-VO aber tatsächlich als nichtig herausstellen, so könnte dies gegebenenfalls Ansprüche aus sog. Amtshaftung nach sich ziehen. Aber auch hier gilt vermutlich: Auch bei einer Amtshaftungsklage benötigt man einen langen Atem….