DSGVO-Schadensersatz: EuGH öffnet die Tore, BGH zeigt die Notbremse für Blogs

Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ist für viele Unternehmer ein Feld voller rechtlicher Minen. Besonders die Frage, wann und in welcher Höhe Schadensersatz für Datenschutzverstöße zu zahlen ist, sorgt für massive Unsicherheit. Zwei hochkarätige Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesgerichtshofs (BGH) stecken das Spielfeld nun neu ab. Das Ergebnis: Die Haftungsrisiken steigen, doch es gibt auch neue, wichtige Verteidigungsmöglichkeiten.

1. EuGH: Jeder Ärger zählt – Die Schwelle für Schadensersatz fällt

In einer grundlegenden Entscheidung hat der EuGH (Urteil vom 4. September 2025, Az. C-655/23) die Hürden für Kläger, die einen immateriellen Schaden nach Art. 82 DSGVO geltend machen, praktisch eingerissen. Der Fall war alltäglich: Eine Bank hatte im Rahmen eines Bewerbungsprozesses eine Nachricht mit Gehaltsdetails versehentlich an einen Dritten geschickt. Der Kläger forderte Schadensersatz für die Sorge, den Kontrollverlust über seine Daten und die empfundene Bloßstellung.

Die Kernaussagen des EuGH sind für Unternehmen alarmierend:

  • Keine „Bagatellgrenze“: Für einen ersatzfähigen Schaden muss keine Erheblichkeitsschwelle überschritten werden. Bloße negative Gefühle wie Ärger, Unmut, Sorge oder Angst, die aus dem Verstoß resultieren, können ausreichen, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen.
  • Verschulden irrelevant für die Höhe: Bei der Bemessung der Entschädigungshöhe darf der Grad des Verschuldens (also ob der Fehler fahrlässig oder vorsätzlich geschah) keine Rolle spielen. Der Schadensersatz soll allein den erlittenen Schaden ausgleichen, nicht den Verantwortlichen bestrafen.

Das Urteil öffnet Tür und Tor für eine Klagewelle, die das eigentliche Schutzziel der DSGVO ad absurdum führen könnte. Wenn bereits alltägliche negative Empfindungen, die nach Ansicht des vorlegenden Gerichts zum „allgemeinen Lebensrisiko“ gehören, für einen Anspruch ausreichen, wird aus dem Datenschutzrecht ein Reparaturbetrieb für Befindlichkeiten. Für Unternehmen bedeutet dies eine Rechtsunsicherheit. Jeder noch so kleine Fehler, wie ein falsch adressierter Newsletter, kann nun potenziell zu Schadensersatzforderungen führen.

Zudem hebelt der EuGH damit faktisch die bisherige, differenziertere Rechtsprechung des BGH aus. Dieser hatte zwar jüngst den „Kontrollverlust“ über Daten ebenfalls als Schaden anerkannt, jedoch verlangten deutsche Gerichte bislang oft einen substantiierten Vortrag, worin der Schaden konkret besteht. Diese Anforderung dürfte nach dem Verdikt aus Luxemburg schwer haltbar sein. Der Kläger muss zwar weiterhin nachweisen, dass der Verstoß die negativen Gefühle verursacht hat, die Messlatte dafür liegt nun aber niedrig.

2. BGH: Die Ausnahme für die Öffentlichkeit – Das unterschätzte Medienprivileg

Während der EuGH die Haftung ausweitet, liefert der BGH in einer anderen Entscheidung (Urteil vom 29. Juli 2025, Az. VI ZR 426/24) eine wichtige Einschränkung, die für viele Blogger relevant ist: das Medienprivileg nach Art. 85 DSGVO.

In dem Fall nutzte eine rechtsextreme Kleinstpartei den Namen eines Politikers der Linken auf ihrem Telegram-Kanal, um für eine Demonstration zu werben. Der Politiker klagte unter anderem auf Schadensersatz nach der DSGVO – und scheiterte.

Die Begründung des BGH ist ein Weckruf für alle, die öffentlich kommunizieren:

  • Journalismus ist nicht nur Presse: Die Verarbeitung von Daten „zu journalistischen Zwecken“ ist von vielen strengen DSGVO-Regeln ausgenommen. Der BGH legt diesen Begriff sehr weit aus. Er umfasst jede Tätigkeit, die darauf abzielt, Informationen in der Öffentlichkeit zu verbreiten und an der Meinungsbildung mitzuwirken.
  • Auch Parteien und Unternehmen können „Journalisten“ sein: Dieses Privileg gilt nicht nur für klassische Medien. Auch ein Telegram-Kanal einer politischen Partei kann darunterfallen. Entscheidend ist der Zweck der Veröffentlichung, nicht die Organisationsform.
  • Folge: Kein DSGVO-Anspruch: Unterfällt eine Veröffentlichung dem Medienprivileg, sind zentrale DSGVO-Vorschriften wie Art. 6 (Rechtmäßigkeit) nicht anwendbar. Damit entfällt auch die Grundlage für einen Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO, der auf der Verletzung dieser Vorschriften beruht.

Aber: Der BGH stellte jedoch auch unmissverständlich klar: Nur weil der DSGVO-Anspruch durch das Medienprivileg blockiert ist, bedeutet das keinen Freifahrtschein. Ansprüche aus nationalem Recht, insbesondere wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (§ 823 BGB), bleiben davon unberührt und können parallel bestehen. Genau hier nahm der BGH eine entscheidende Weichenstellung vor und erklärte den Unterschied zwischen einem Unterlassungsanspruch (der in erster Instanz bereits erfolgreich war) und einem Anspruch auf Geldentschädigung. Der Unterlassungsanspruch (präventiv): Dieser Anspruch hat eine niedrigere Hürde. Um eine Äußerung für die Zukunft zu verbieten, reicht es bereits aus, wenn sie mehrdeutig ist und eine der möglichen Interpretationen die Rechte einer Person verletzt. Es geht darum, potenziellem Schaden vorzubeugen. Der Schadensersatzanspruch (Sanktion): Hier liegt die Messlatte höher. Da es sich um eine Sanktion für einen bereits entstandenen Schaden handelt, muss bei mehrdeutigen Äußerungen die für den Beklagten günstigste und den Kläger am wenigsten verletzende Deutungsvariante zugrunde gelegt werden.

3. Fazit:

à Risiko-Maximierung bei internen Prozessen: Nach dem EuGH-Urteil muss jeder interne Prozess, bei dem personenbezogene Daten verarbeitet werden (HR, Marketing, Vertrieb), absolut wasserdicht sein. Die Verteidigung, ein Fehler habe „keinen echten Schaden“ verursacht, ist massiv geschwächt.

-> Risiko-Minimierung bei öffentlicher Kommunikation: Wenn Ihr Unternehmen öffentlich kommuniziert – sei es über einen Corporate Blog, Pressemitteilungen oder Social-Media-Kanäle – und damit zur öffentlichen Meinungsbildung beiträgt, könnten Sie sich auf das Medienprivileg berufen. Dies kann ein starker Schutzschild gegen Schadensersatzforderungen nach der DSGVO sein.

-> Nationales Recht bleibt bestehen: Achtung: Das Medienprivileg schützt nur vor den Ansprüchen aus der DSGVO. Ansprüche aus anderen Gesetzen, wie dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, bleiben davon unberührt.

Gericht, Datum, Aktenzeichen:

Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 4. September 2025, Az. C-655/23

Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 29. Juli 2025, Az. VI ZR 426/24

Teurer Formfehler: OLG Köln verweigert Erstattung von Abmahnkosten

Eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung ist ein scharfes Schwert. Wer unlauter wirbt oder handelt, muss mit einer Unterlassungsaufforderung und der Übernahme der Anwaltskosten des Konkurrenten rechnen. Doch was passiert, wenn die Abmahnung selbst fehlerhaft ist? Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hat in einer aktuellen Entscheidung klargestellt, dass formale Mängel in der Abmahnung dazu führen können, dass der Abmahnende auf seinen Kosten sitzen bleibt – selbst wenn der Wettbewerbsverstoß tatsächlich vorlag.

Worum ging es in dem Fall?

Ein Unternehmen aus der Nahrungsergänzungsmittel-Branche mahnte einen Konkurrenten wegen verschiedener Werbeaussagen und der Kennzeichnung eines seiner Produkte ab. Die Abmahnung war in der Sache erfolgreich: Das Landgericht und später rechtskräftig das OLG Köln bestätigten den Unterlassungsanspruch. Der Abgemahnte musste die beanstandeten Handlungen einstellen.

Der Knackpunkt lag jedoch bei den Abmahnkosten in Höhe von fast 5.000 Euro. Das abmahnende Unternehmen forderte diese Summe vom Konkurrenten zurück. Das Gericht lehnte dies jedoch ab. Der Grund: Die Abmahnung erfüllte nicht die seit einigen Jahren verschärften gesetzlichen Anforderungen.

Die Entscheidung des OLG Köln: Keine Kosten ohne klare Angaben

Das Gericht stellte fest, dass die Abmahnung gegen § 13 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verstößt. Nach dieser Vorschrift muss ein abmahnender Mitbewerber in seiner Abmahnung „klar und verständlich“ darlegen, warum er überhaupt anspruchsberechtigt ist.

Es reicht nicht mehr aus, pauschal zu behaupten, man sei ein „Mitbewerber“. Der Gesetzgeber verlangt seit der UWG-Reform konkrete Angaben zur eigenen Marktstellung. Der Abmahnende muss belegen, dass er „in nicht unerheblichem Maße“ Waren oder Dienstleistungen vertreibt.

Im vorliegenden Fall hatte das abmahnende Unternehmen in seinem Schreiben lediglich darauf verwiesen, „bekanntermaßen“ eine Mitbewerberin zu sein und zitierte eine ältere Gerichtsentscheidung, in der es selbst einmal Partei war. Dies genügte dem OLG Köln nicht. Das Gericht führte aus:

  • Konkrete Angaben zur Geschäftstätigkeit sind Pflicht: Der Abmahnende muss zumindest ansatzweise seine eigene Geschäftstätigkeit beschreiben. Er muss darlegen, in welchem Umfang er am Markt tätig ist. Als Beispiele nennt das Gesetz „Größenkategorien der Zahl der Verkäufe“.
  • Wissen des Gegners ist unerheblich: Das Argument, der Abgemahnte wisse doch ohnehin, dass man ein ernstzunehmender Konkurrent sei, ließ das Gericht nicht gelten. Der Gesetzgeber habe bewusst formale Anforderungen geschaffen, um missbräuchliche Abmahnungen zu verhindern, die primär dem Geldverdienen dienen. Diese formalen Hürden können nicht durch das angebliche Wissen des Empfängers umgangen werden.
  • Folge des Formfehlers ist klar: Werden diese formalen Anforderungen nicht erfüllt, entfällt der Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten komplett.

Praxistipp für Unternehmer

Die Entscheidung des OLG Köln hat erhebliche praktische Konsequenzen für jeden Unternehmer:

  1. Wenn Sie eine Abmahnung aussprechen: Stellen Sie sicher, dass Ihr Anwalt in das Abmahnschreiben konkrete und nachvollziehbare Angaben zu Ihrer eigenen Geschäftstätigkeit aufnimmt. Beschreiben Sie, dass und in welchem Umfang Sie konkurrierende Produkte oder Dienstleistungen anbieten. Pauschale Floskeln sind riskant und können dazu führen, dass Sie trotz berechtigter Abmahnung Ihre Anwaltskosten selbst tragen müssen.
  2. Wenn Sie eine Abmahnung erhalten: Lassen Sie die Abmahnung nicht nur inhaltlich, sondern auch auf formale Mängel prüfen. Fehlen Angaben zur Marktposition des Abmahnenden? Ist nicht klar ersichtlich, inwiefern dieser ein ernsthafter Wettbewerber ist? Dann könnte der Anspruch auf Kostenerstattung unberechtigt sein. Dies ist ein wichtiger Hebel für die Verteidigung und kann Ihre Verhandlungsposition erheblich stärken.

Dieses Urteil zeigt einmal mehr, dass im Wettbewerbsrecht Details entscheidend sind. Ein formaler Fehler kann den Unterschied zwischen der erfolgreichen Durchsetzung von Ansprüchen und einem teuren Pyrrhussieg ausmachen.


Gericht: Oberlandesgericht Köln
Datum: 04.10.2024
Aktenzeichen: 6 U 46/24
Fundstelle: GRUR-RR 2025, 298