Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hat in einem aktuellen Urteil klargestellt, unter welchen Voraussetzungen Betreiber sozialer Netzwerke Konten ihrer Nutzer ohne vorherige Anhörung sperren dürfen – selbst dann, wenn sich der Verdacht später als unbegründet erweist. Anlass war ein Fall, in dem Unbekannte über das gehackte Konto einer Nutzerin kinderpornografisches Material verbreitet hatten. Die Plattform deaktivierte daraufhin das Nutzerkonto sofort, ohne die Kontoinhaberin vorher zu informieren.
Der Fall im Überblick
Die Klägerin nutzte ein soziales Netzwerk privat. Nach dem Upload strafbarer Inhalte – in diesem Fall kinderpornografischer Darstellungen – durch unbekannte Dritte wurde ihr Konto zunächst in einen „Checkpoint“-Status versetzt und kurz darauf vorübergehend gesperrt. Erst Wochen später wurde die Sperre aufgehoben, nachdem klar war, dass die Nutzerin selbst nicht verantwortlich war. Sie verlangte vor Gericht unter anderem:
- Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperre,
- Löschung der gespeicherten Sperrvermerke,
- ein künftiges Unterlassungsgebot, ohne Anhörung zu sperren.
Das Landgericht hatte die Klage weitgehend abgewiesen. Vor dem OLG Karlsruhe hatte sie nur teilweise Erfolg.
Die Entscheidung des OLG Karlsruhe
Sofortige Sperrung ohne Anhörung grundsätzlich zulässig
Das Gericht stellte klar: Bei dem Verdacht, dass über ein Konto kinderpornografisches Material verbreitet wird, darf der Plattformbetreiber das Konto sofort sperren, um Missbrauch zu verhindern. Eine vorherige Anhörung ist hier nicht zwingend erforderlich. Das Gericht betonte das hohe öffentliche Interesse an der Bekämpfung solcher Straftaten. Daher kann eine umgehende Kontosperre gerechtfertigt sein, auch wenn sich später herausstellt, dass der Kontoinhaber nicht selbst gehandelt hat.
Diese Ausnahme gilt allerdings nur bei gravierenden Verstößen, insbesondere bei strafbaren Inhalten.
Anspruch auf Löschung veralteter Vermerke
Erfolgreich war die Klägerin mit ihrem Antrag, dass die Sperrvermerke aus dem Nutzerdatensatz gelöscht werden müssen. Das Gericht urteilte, dass die Speicherung dieser Daten nach Klärung des Vorfalls nicht mehr erforderlich sei. Eine bloß theoretische Möglichkeit, dass die Plattform sich künftig auf den Vorfall berufen könnte, rechtfertige kein dauerhaftes Festhalten der Daten.
Kein Unterlassungsanspruch für künftige Fälle
Das Gericht wies den Anspruch zurück, die Plattform müsse künftig vor jeder Sperre eine Anhörung durchführen. Nach Auffassung des Gerichts wäre ein so weitgehender Anspruch unzulässig, weil die Notwendigkeit einer sofortigen Sperre immer eine Einzelfallentscheidung bleiben muss. Auch ein Anspruch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperre bestand nicht, da dies keine eigenständige rechtliche Beziehung begründet und die Klägerin ihre Rechte auch anders hätte durchsetzen können.
Was bedeutet das für Betreiber und Nutzer?
Für Plattformbetreiber bedeutet das Urteil:
- Bei Verdacht auf schwerwiegende Rechtsverstöße wie Kinderpornografie darf ein Konto ohne Vorwarnung gesperrt werden.
- Dennoch müssen sie nach Klärung des Sachverhalts prüfen, ob gespeicherte Vermerke gelöscht werden müssen, um den Datenschutz zu wahren.
Für Nutzer gilt:
- Auch wenn ein Konto vorübergehend deaktiviert wurde, besteht kein automatischer Anspruch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit.
- Wer sicherstellen will, dass unberechtigte Vermerke gelöscht werden, kann sich auf das „Recht auf Vergessenwerden“ nach der DSGVO berufen.
Das Urteil zeigt eindrucksvoll die Abwägung zwischen dem Schutz der Öffentlichkeit und den Rechten des Einzelnen: Betreiber dürfen nicht zögern, um Straftaten zu verhindern – müssen aber nach Aufklärung des Sachverhalts konsequent aufräumen.
Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Datum der Entscheidung: 15. Januar 2025
Aktenzeichen: 14 U 150/23
Fundstelle: ZUM 2025, 475