Kurz vor der Bundestagswahl hat die rechtsextreme Partei „Der III. Weg“ mit einem Wahlplakat für Aufregung gesorgt: Auf dem Plakat war als Blickfang der Text „Hängt die Grünen!“ aufgedruckt. In deutlich kleineren Buchstaben darunter fand sich folgender Satz: „Macht unsere nationalrevolutionäre Bewegung durch Plakatwerbung in unseren Parteifarben in Stadt und Land bekannt“. Das Wahlplakat war dabei in grüner Farbe gehalten.
Die Stadt Zwickau hatte der Partei das Aufhängen dieser Plakate untersagt. Dagegen hat die Partei Widerspruch eingelegt und gleichzeitig vor dem zuständigen Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Mit Beschluss vom 14.09.2021, Az.: 7 L 393/21, hat das Verwaltungsgericht Chemnitz entschieden, dass die sog. aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Partei wieder hergestellt wird, weswegen die Plakate bis zu einer endgültigen Entscheidung hängenbleiben dürfen, jedoch -als Auflage – ein Abstand von 100 Metern zwischen diesen Plakaten und den Wahlplakaten der Partei „Die Grünen“ gewährleistet sein muss.
Am Montag, den 20.09.2021, wurde bekannt, dass auf Antrag der Partei „Die Grünen“ das Landgericht München I eine einstweilige Verfügung gegen die rechtsextreme Partei „Der III. Weg“ wegen des Plakats erlassen hat (Beschluss vom 17.09.2021, Az.: 25 O 12449/21). Lt. einschlägigen Medienberichten hat das Landgericht München I die Wahlplakate mit dem Slogan „Hängt die Grünen!“ vorläufig verboten.
Zwei Gerichte sind also bezüglich ein und desselben Themas zu unterschiedlichen Rechtsauffassungen gelangt.
Es stellt sich nun natürlich die Frage: Weshalb? Und welches Gericht hat Recht?
Zunächst einmal unterscheiden sich beide Entscheidungen dadurch, dass unterschiedliche Rechtswege betroffen sind:
In dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Chemnitz ging es um eine Verbotsverfügung der Stadt Zwickau und somit um ein verwaltungsgerichtliches Verfahren.
In dem vom Landgericht München I entschiedenen Verfahren war ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung der Partei „Die Grünen“ wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anhängig, auf welches sich auch Parteien in ihrem Wirkungsbereich berufen können. Das Landgericht hat also in einem zivilrechtlichen Verfahren entschieden.
Trotz der unterschiedlichen Rechtswege und auch trotz unterschiedlicher Voraussetzungen an den Erlass einer einstweiligen Anordnung bzw. einstweiligen Verfügung im Verwaltungsprozess- bzw. Zivilprozessrecht geht es doch im Kern um ein und dieselbe Frage:
Unter welchen Voraussetzungen darf man einer – nicht verbotenen und für die Bundestagswahl zugelassenen – Partei Wahlwerbung verbieten?
Und ob es einem gefällt oder nicht: Solange die rechtsextreme Partei „Der III. Weg“ nicht verboten und sogar zur Bundestagswahl zugelassen ist, kann sie sich auf dieselben Grundsätze und Grundrechte berufen, wie jede andere Partei auch.
Und zum Schutz der Meinungsfreiheit, aber auch zum Schutz des Betätigungsfeldes aller politischen Parteien, hat insbesondere das Bundesverfassungsgericht den Schutzbereich für solche Wahlwerbung weit gezogen, so dass nur unter sehr engen (und strengen) Voraussetzungen Wahlwerbung verboten werden kann.
Das Verwaltungsgericht Chemnitz, dem vollkommen zu Unrecht aufgrund seiner Entscheidung unterstellt wurde, es sei auf dem rechten Auge blind, hat diese Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss ausführlich herausgearbeitet. Maßgeblich für das Verwaltungsgericht Chemnitz war dabei die Frage, welche Rolle die in kleiner gehaltener Schrift angebrachte Unterzeile spielt oder ob es darauf nicht ankommt. Das Verwaltungsgericht ist der Auffassung, dass dies erst in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden müsse.
Auch wenn bislang die Entscheidungsgründe der einstweiligen Verfügung des Landgerichts München I noch nicht veröffentlicht worden sind, sondern nur entsprechende Artikel in der Presse, so scheinen die Gerichte in einem Punkt unterschiedlicher Auffassung zu sein:
Während das Verwaltungsgericht Chemnitz der Meinung ist, es komme eventuell auf die Wahrnehmbarkeit der deutlich klein gehaltenen zweiten Zeile auf dem Plakat an und damit auf die Frage, ob das Plakat mehrdeutig sei, scheint das Landgericht München I der Rechtsauffassung zu sein, dass der schlagwortartig hervorgehobene Text „Hängt die Grünen!“ eindeutig und auch als Aufruf zur Begehung von Straftaten zu verstehen sei.
Und vermutlich wird es genau darauf hinauslaufen:
Ist das Plakat der rechtsextremen Partei durch die Unterzeile mehrdeutig zu verstehen, wie z.B. auch Plakate der Satire-Partei „Die Partei“. Oder aber fällt diese Unterzeile nicht ins Gewicht, so dass der gewöhnliche Betrachter das Plakat letztendlich als eine Art Mordaufruf an Politikern einer bestimmten Partei versteht. Ob über diese Sache überhaupt noch irgendwann entschieden werden wird, ist unklar und hängt davon ab, ob die ergangenen Entscheidungen akzeptiert werden oder nicht. Und ein Ziel dürfte die rechtsextreme Partei bereits erreicht haben, nämlich die Erlangung von bundesweiter Aufmerksamkeit.
Das sächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) in Bautzen hat auf das Rechtsmittel der Stadt den Beschluss des Verwaltungsgericht Chemnitz aufgehoben.
In den Entscheidungsgründen heißt es u.a.:
„In tatsächlicher Hinsicht geht der Senat davon aus, dass die überwiegende Mehrzahl der Passanten und Automobilinsassen, die das Plakat wahrnehmen, nur die Schriftzüge „HÄNGT DIE GRÜNEN!“, „Wählt Deutsch!“ und „DER DRITTE WEG“ wahrnehmen, wobei der Schriftzug „HÄNGT DIE GRÜNEN!“ nach Größe und Gestaltung eindeutig dominiert und im Gedächtnis bleibt. Die überwiegende Mehrheit wird dagegen den Schriftzug „Macht unsere nationalrevolutionäre Bewegung durch Plakatwerbung in unseren Parteifarben in Stadt und Land bekannt!“ nicht wahrnehmen oder wahrnehmen können. Angesichts dessen, dass die Schriftgröße nur 2 cm beträgt und der Schriftzug nach der grafischen Gestaltung des Plakats – auch durch Textschattierung, die nur einen eingeschränkten Kontrast zum Hintergrund aufweist – zurücktritt, ist er jedenfalls bei zügigem Vorbeifahren im Kraftwagen oder auf dem Fahrrad sowie bei hoher Hängung der Plakate auch für Fußgänger aus einiger Entfernung nicht zu entziffern. Er geht weiter davon aus, dass ein ganz überwiegender Teil der Passanten und Automobilinsassen, die das Plakat sehen, die Aussage auf die Parteimitglieder der Partei Bündnis 90/Die Grünen beziehen werden. Mit „Die Grünen“ werden umgangssprachlich und üblicherweise die Partei Bündnis 90/Die Grünen und deren Mitglieder bezeichnet. Nach dem objektiven Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums wird die Farbe Grün „Den Grünen“, also der Partei Bündnis 90/Die Grünen zugeordnet, zumal der Parteinamen selbst die Wortgruppe „Die Grünen“ enthält. Dass die Antragstellerin ebenfalls die Parteifarbe Grün hat, ist in großen Teilen der Bevölkerung nicht bekannt. Die Antragstellerin wird auch nicht umgangssprachlich mit „Die Grünen“ bezeichnet. Dass sich die Aussage deshalb auf die Antragstellerin oder ihre Plakate bezieht, wie sie vorträgt, wird somit für die Mehrzahl der Betrachter nicht klar. Die Aussage ist – jedenfalls ohne den kleingedruckten Zusatz – auch nicht dahingehend mehrdeutig, dass sie sowohl auf die Parteimitglieder von Bündnis 90/Die Grünen als auch auf die Plakate der Antragstellerin bezogen werden wird. Der durchschnittliche Plakatbetrachter wird den Schriftzug nur auf die Mitglieder der Partei Bündnis 90/Die Grünen, nicht aber auf weitere grün eingefärbte Plakate der Antragstellerin selbst beziehen, weil diese Assoziation ohne die kleingedruckte Erläuterung fernliegend ist, zumal das Anbringen von Wahlplakaten regelmäßig als „Plakate kleben“ oder „Plakate aufhängen“ bezeichnet, aber nicht mit einer Farbe und dem Verb „hängen“ assoziiert wird. Die Formulierung, jemanden „zu hängen“, wird in der Regel dahin verstanden, jemanden aufzuhängen. In einem übertragenen Sinn kann es auch bedeuten, ihn in sonstiger Weise zu schädigen oder herabzuwürdigen.
…
Vorliegend sind die Plakate geeignet, das psychische Klima aufzuheizen, das Aggressionspotential im sozialen Gefüge zu erhöhen und das politische Klima durch Erzeugung von Hass zu vergiften. Diese Bewertungen drängen sich dem Senat auch vor dem Hintergrund von Geschehnissen in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auf, wonach Angriffe auf Gesundheit und Leben politisch Andersdenkender und (Lokal-)Politiker (neben anderen auch der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke im Jahr 2019; vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 28. Januar 2021 – 5-2 StE 1/20 – 5a -3/20 -, Pressemitteilung des OLG Frankfurt Nr. 8/2021 v. 28. Januar 2021, juris) tatsächlich verübt wurden, ferner Straftaten mit politisch-religiösen Hintergründen (erwähnt seien die Anschläge von Halle 2019 und Hanau 2020). Auch mit Blick auf diese Ereignisse handelt es sich bei einem Aufruf „HÄNGT DIE GRÜNEN!“ nicht um eine im Rahmen der Meinungsfreiheit hinzunehmende Aussage, sondern um die Schaffung einer Gefahr für den politischen und gesellschaftlichen Frieden.“
Sehr deutlich