Das Landgericht Karlsruhe hat am 9. Oktober 2024 (AZ: 22 O 6/24) eine wichtige Entscheidung zum Persönlichkeitsschutz gefällt. Konkret ging es um die Frage, ob ein bundesweit ausgestrahlter TV-Sender ein unverpixeltes Porträtfoto eines Angeklagten im Verfahren gegen die sogenannte „Gruppe Reuß“ zeigen durfte.
Hintergrund des Falls
Der Angeklagte war einer von mehreren Personen, denen die Beteiligung an einem versuchten Umsturz und die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird. Der Sender hatte in einer Nachrichtensendung über den Prozessauftakt berichtet und dabei ein Polizeifoto des Mannes ohne seine Einwilligung gezeigt. Dieses Foto stammte aus der Ermittlungsakte und wurde dem Sender offenbar zugespielt.
Der Betroffene hielt dies für eine Verletzung seines Rechts am eigenen Bild und klagte auf Unterlassung.
Das Gericht: Unverpixelte Abbildung ist rechtswidrig
Das Landgericht gab dem Kläger recht und verbot dem Sender, das Bild weiter zu verwenden. Dabei stützte es sich insbesondere auf folgende Erwägungen:
- Recht auf Unschuldsvermutung: Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt jeder Angeklagte als unschuldig. Die Veröffentlichung eines identifizierenden Fotos kann diesen Grundsatz im öffentlichen Bewusstsein unterlaufen, da der Betrachter den Eindruck gewinnen könnte, es handele sich bereits um einen verurteilten Straftäter.
- Keine absolute Vorrangstellung der Pressefreiheit: Auch wenn die Vorwürfe ein außergewöhnliches öffentliches Interesse rechtfertigen, darf dies nicht dazu führen, dass der Persönlichkeitsschutz vollständig verdrängt wird. Das Gericht stellte klar: Es gibt kein Ereignis, das allein wegen seiner Bedeutung automatisch das Persönlichkeitsrecht bricht.
- Gefahr der Stigmatisierung: Gerade bei Fernsehberichterstattung entfaltet ein Bild eine hohe Wirkung. Die Kombination aus Ton, Bild und der leichten Auffindbarkeit in Mediatheken erhöht die Reichweite und den Eingriff in die Persönlichkeitsrechte erheblich.
- Herkunft des Bildes: Das Foto stammte aus der Ermittlungsakte. Der Angeklagte konnte daher nicht damit rechnen, dass es veröffentlicht würde. Er hatte sich selbst nicht öffentlich exponiert.
Abwägung im Einzelfall
Das Gericht wog das öffentliche Informationsinteresse gegen das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ab. Zwar dürfen Medien grundsätzlich über Angeklagte berichten – auch mit Namen. Aber solange kein Schuldspruch vorliegt, muss bei der Abbildung besonderer Zurückhaltung gewahrt werden. Nach Auffassung des Gerichts wäre hier zumindest eine Verpixelung erforderlich gewesen.
Bedeutung für Medien und Betroffene
Dieses Urteil zeigt klar: Selbst bei spektakulären Strafverfahren bleibt das Persönlichkeitsrecht ein hohes Gut. Medien müssen sorgfältig prüfen, ob eine unverpixelte Darstellung wirklich notwendig und verhältnismäßig ist. Unternehmen und Personen, die in Strafverfahren geraten, können sich jedenfalls auf ein erhebliches Schutzinteresse berufen, solange keine Verurteilung erfolgt ist.
Gericht: Landgericht Karlsruhe
Datum der Entscheidung: 9. Oktober 2024
Aktenzeichen: 22 O 6/24
Fundstelle: ZUM-RD 2025, 334