OLG Stuttgart: Kein weltweiter Unterlassungsanspruch für „Vitruvianischen Mensch“ außerhalb Italiens

Das OLG Stuttgart (AZ: 4 U 136/24) hat mit Urteil vom 11. Juni 2025 entschieden, dass das italienische Kulturministerium sowie das Galleria dell’Accademia in Venedig keinen Anspruch darauf haben, deutschen Unternehmen die Nutzung der Proportionsstudie Leonardo da Vincis „Vitruvianischer Mensch“ für kommerzielle Zwecke außerhalb Italiens zu untersagen.

Hintergrund

Die klagenden Unternehmen, darunter ein bekannter deutscher Puzzlehersteller, hatten gegen das italienische Kulturministerium und ein Museum in Venedig eine sogenannte negative Feststellungsklage erhoben. Ziel war die Feststellung, dass den italienischen Beklagten kein Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Nutzung des Werkes für Produkte außerhalb Italiens zusteht.

Ausgangspunkt war eine Abmahnung aus dem Jahr 2019, in der das italienische Museum die Nutzung des „Vitruvianischen Menschen“ für ein Puzzle ohne Lizenz untersagte. Die italienischen Stellen stützten sich auf das nationale Kulturgtzten sich auf das nationale Kulturgüterschutzgesetz (Codice dei beni culturali e del paesaggio), insbesondere auf Art. 107 ff., wonach für die Vervielfältigung von Kulturgütern Erlaubnis- und Lizenzpflichten bestehen.

Entscheidung des Gerichts

Das OLG Stuttgart bestätigte die Entscheidung des LG Stuttgart und stellte klar, dass sich die italienischen Vorschriften nicht auf das Ausland erstrecken. Das sogenannte Territorialitätsprinzip schließe eine extraterritoriale Anwendung des italienischen Rechts aus. Die deutschen Unternehmen durften daher das gemeinfreie Werk außerhalb Italiens frei nutzen.

Für das Gericht war auch entscheidend, dass es sich bei der Nutzung um eine nicht-hoheitliche Staatstätigkeit handelte, sodass die Staatenimmunität nicht greift. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte wurde ebenfalls bejaht. Nur im Hinblick auf die in Italien ansässige Tochtergesellschaft der Klägerinnen (Klagpartei Nr. 3) wurde die Klage mangels internationaler Zuständigkeit abgewiesen.

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung hat große Bedeutung für Unternehmen, die gemeinfreie Werke aus anderen Staaten für Produkte nutzen. Nationale Kulturgutschutzgesetze haben keine weltweite Wirkung, sondern gelten grundsätzlich nur im eigenen Hoheitsgebiet. Unternehmer können sich daher darauf verlassen, dass rechtmäßige Nutzungen in Deutschland nicht ohne Weiteres von ausländischen Stellen untersagt werden können.

Die Entscheidung ist ein klares Bekenntnis zum internationalen Grundsatz der Territorialität und schafft Rechtssicherheit für die Nutzung gemeinfreier Kulturgüter im europäischen Wirtschaftsraum.

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Datum: 11.06.2025
Aktenzeichen: 4 U 136/24
Fundstelle: openJur 2025, 14759

Fotos von gemeinfreien Gemälden sind (trotzdem) urheberrechtlich geschützt

Das OLG Stuttgart hat mit Urteil vom 31.05.2017, Az 4 U 204/16, u.a. entschieden, dass Fotos von gemeinfreien Gemälden für den Fotografen jedenfalls über den Lichtbildschutz des Urheberrechtsgesetz geschützt sind.

Es ging in dem Rechtsstreit um Fotografien von im Reiss-Engelhorn-Museum in Mannheim ausgstellten Gemälden. Diese Fotos wurden in der Mediendatenbank Wikimedia Commons, die Mediendatenbank des Internet-Lexikons Wikipedia, öffentlich zugänglich gemacht.

Zum einen handelt es sich um aus einem Katalog eingescannte Fotografien eines Angestellten der Stadt Mannheim, der als „Hausfotograf“ für die Stadt tätig war. Zum anderen hatte der Beklagte im Museum selbst Fotografien angefertigt. Dabei war das Fotografieren im Museum durch entsprechende Schulder untersagt.

Dagegen ging die Stadt Mannheim vor und gewann vor Gericht.

Bei den Fotografien des „Hausfotografen“ der Stadt stützte das OLG den Anspruch auf eine Verletzung des Lichtbildschutzes aus § 72 UrhG.

In diesem Punkt folgte das OLG nicht der Auffassung des Beklagten, der den Lichtbildcharakter der Fotos in Frage stellte, da es seiner Meinung nach nur um die Abbildung des Gemäldes in möglichst identischer unveränderter Form gehe und das fotografierte Objekt nur substituiert werden solle. Das Gericht räumte ein, dass die möglichst exakte Fotografie eines Gemäldes  zwar auch eine Vervielfältigung des Gemäldes sei. Wegen des vom Gesetz vorgesehenen Schutzes für Lichtbildwerke und Lichtbilder sei aber ein eigenständiger Schutz notwendig, weil ansonsten der gesetzlich gewollte Werkschutz für die eigenständig geschaffene Fotografie leerlaufen würde, so das OLG weiter.

Bei den vom Beklagten selbst angefertigten Fotografien leitete das Gericht den Anspruch aus der sogenannten Sanssouci-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Ansprüche des Eigentümers aus dem Eigentumsrecht gegen einen Fotografen) und aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Besichtigungsvertrag her. In dem Vertrag sei ein Fotografierverbot wirksam zwischen der Stadt und dem Beklagten einbezogen worden, da durch eindeutige Schilder im Museum auf dieses Verbot hingewiesen worden sei, weshalb sich daraus auch ein vertraglicher Unterlassungsanspruch ergebe, so das OLG.

Das OLG hat die Revision zugelassen.