BGH-Urteil: Meinungsfreiheit überwiegt bei medienkritischer Äußerung

Ein Journalist veröffentlichte auf einer bekannten Nachrichtenplattform einen Artikel über ein siebenjähriges Mädchen aus Aleppo, das angeblich über Twitter über die Kriegsereignisse berichtete. Ein Blogger kritisierte diesen Bericht scharf auf seiner eigenen Webseite und bezeichnete den Journalisten unter anderem als „Nachrichtenfälscher“ und „Fake-News-Produzent“. Der Journalist und die betreibende Medienplattform sahen darin eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts und klagten auf Unterlassung.

Entscheidungen der Vorinstanzen

Das Landgericht Hamburg und das Oberlandesgericht Hamburg gaben der Klage statt. Sie bewerteten die Äußerungen des Bloggers als unzulässige Tatsachenbehauptungen und untersagten deren weitere Verbreitung.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der BGH hob die Urteile der Vorinstanzen auf und wies die Klage ab. Die Begründung:

  1. Werturteil statt Tatsachenbehauptung: Die Bezeichnungen wie „Nachrichtenfälscher“ und „Fake-News-Produzent“ seien als Werturteile einzustufen, nicht als Tatsachenbehauptungen. Sie stellten eine subjektive Bewertung des Bloggers dar, basierend auf seiner Interpretation des journalistischen Artikels.​
  2. Keine Schmähkritik: Obwohl die Äußerungen polemisch und scharf formuliert seien, überschritten sie nicht die Grenze zur Schmähkritik. Der Blogger setzte sich sachlich mit dem Inhalt des Artikels auseinander und äußerte seine Kritik im Rahmen einer öffentlichen Debatte über Medienberichterstattung im Syrienkrieg.​
  3. Ausreichende Tatsachengrundlage: Der Blogger stützte seine Kritik auf nachvollziehbare Anhaltspunkte, wie etwa Zweifel an der Fähigkeit eines siebenjährigen Mädchens, komplexe englische Tweets zu verfassen. Solche Zweifel wurden auch in anderen Medienberichten thematisiert.​
  4. Abwägung der Grundrechte: Der BGH betonte die Bedeutung der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG. Journalisten und Medienunternehmen müssten sich auch scharfe Kritik gefallen lassen, solange diese auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage beruht und nicht die Grenze zur Schmähkritik überschreitet.​

Bedeutung für die Praxis

Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung der Meinungsfreiheit, insbesondere bei medienkritischen Auseinandersetzungen. Es zeigt, dass auch scharfe und polemische Kritik zulässig sein kann, solange sie auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage basiert und nicht ausschließlich der Diffamierung dient.​

Fazit

Der BGH stärkt mit diesem Urteil die Meinungsfreiheit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht von Medienschaffenden. Selbst drastische Formulierungen können rechtlich zulässig sein, wenn sie auf nachvollziehbaren Argumenten beruhen und im Kontext einer öffentlichen Debatte stehen.

Gericht: Bundesgerichtshof
Entscheidung vom: 10. Dezember 2024
Aktenzeichen: VI ZR 230/23
Fundstelle: GRUR 2025, 598

Keine Persönlichkeitsrechtsverletzung bei sog. Selbstöffnung eines Prominenten

Der BGH musste über einen auf YouTube veröffentlichten Medienbericht über Spekulationen der Presse über eine Beziehung von Luke Mockridge urteilen (BGH, Urteil vom 02.08.2022, Az.: VI ZR 26/21).

2018 wurde in den Medien, u.a. in einem YouTube-Video, über eine Beziehung des Comedian und Moderators Luke Mockridge mit der Comedian und Podcasterin Ines Anioli spekuliert. Auslöser der Spekulationen waren Urlaubspostings beider Personen auf Social-Media-Kanälen, die den Schluss nahelegten, dass sich die beiden zu diesem Zeitpunkt an ein und demselben Ort aufhielten, obwohl beide auf keinem der Postings gemeinsam zu sehen waren.

Zu dem damaligen Zeitpunkt hatten die beiden Prominenten ihre Beziehung noch nicht öffentlich gemacht.

Gegen diese Berichterstattung ging Luke Mockridge vor und ihm wurde zunächst auch Recht gegeben.

Der BGH sah dies allerdings anders.

Da sich Luke Mockridge zuvor bereits selbst in Interviews zu seinen Beziehungen und seinem Privatleben geäußert und er die Postings – in diesem Fall auf Instagram – selbst vorgenommen hatte und weil es auffällige Übereinstimmung seiner Postings und den Postings von Ines Anioli gab, lag, so der BGH, der Schluss nahe, dass sich beide Personen zusammen im Urlaub befanden. Daher sah der BGH das Persönlichkeitsrecht nicht als verletzt an. Auch die Spekulation darüber, ob beide Personen eine Beziehung haben, sei nicht persönlichkeitsrechtsverletzend, weil Luke Mockridge sich zuvor selbst über seine Beziehungen und sein Liebesleben in Interviews geäußert habe. Daher bestand auch ein öffentliches Interesse an dem Privatleben von Luke Mockridge und seinen Beziehungen, weshalb in dem vorliegenden Fall die Pressefreiheit vorgehe, so der BGH.

Dieser Fall beschäftigt sich mit der sog. Selbstöffnung von Prominenten:

Bei der Frage, ob jemand gegen die Presse vorgehen kann, wenn dort über das Privat- und Liebesleben berichtet wird, spielt es eine große Rolle, wie sich diese Person zuvor selbst in den Medien verhalten hat:

Wer Medien „den Blick ins Schlafzimmer“ gewährt, kann sich eventuell später nicht mehr wehren, wenn diese Berichterstattung zum Anlass genommen wird, ausführlich über das Privat- und Liebesleben zu berichten. Wer also gegen eine ausufernde Presseberichterstattung über das Privatleben vorgehen will, muss darauf achten, dass er keine Interviews über sein Privatleben gibt.