OLG Nürnberg: Volle Kostenerstattung für Anwaltsschreiben nach unberechtigter Amazon-Sperrung

Für Online-Händler, insbesondere auf Plattformen wie Amazon, ist eine Sperrung der eigenen Angebote durch eine Beschwerde eines Konkurrenten ein massives Problem. Wenn diese Beschwerde – etwa der Vorwurf einer Markenverletzung oder einer Produktfälschung – sich als haltlos herausstellt, stellt sich die Frage: Wer trägt die Kosten für den Anwalt, der eingeschaltet wurde, um die Sperre aufzuheben?

Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg hat hierzu in einem aktuellen Urteil eine wichtige Klarstellung getroffen, die die Rechte von zu Unrecht beschuldigten Händlern stärkt.

Der Fall: Falscher Fälschungsvorwurf bei Kuscheltieren

Im Zentrum des Streits standen zwei Händler, die beide auf Amazon Spielwaren anboten. Die Beklagte, Inhaberin einer Lizenz für die Marke „Teddys Rothenburg“, meldete über das Amazon-Beschwerdeverfahren zwei Angebote des Klägers. Der Vorwurf: Bei den vom Kläger angebotenen Artikeln (Kuscheltiere von „Tom & Jerry“) handle es sich um Fälschungen.

Amazon reagierte wie üblich und sperrte die betreffenden ASINs des Klägers. Das Problem: Der Vorwurf war falsch. Es handelte sich um Originalprodukte eines anderen Herstellers.

Nachdem der Kläger vergeblich versucht hatte, die Beklagte direkt zu kontaktieren, beauftragte er einen Anwalt. Dieser schickte der Beklagten eine Abmahnung. Zwar gab die Beklagte daraufhin eine Unterlassungserklärung ab, der Streit um die Anwaltskosten des Klägers landete jedoch vor Gericht.

Der Streit: Formfehler im UWG gegen Schadenersatz

Die Beklagte weigerte sich, die Anwaltskosten des Klägers zu zahlen. Ihr Argument: Die Abmahnung des Klägers sei formell fehlerhaft gewesen. Sie habe nicht ausreichend dargelegt, inwiefern der Kläger ein „Mitbewerber“ im Sinne des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) sei – eine formelle Anforderung nach § 13 Abs. 2 UWG.

Nach § 13 Abs. 5 UWG führt eine solche formell unwirksame Abmahnung sogar dazu, dass der Abmahnende (der Kläger) die Anwaltskosten des Abgemahnten (der Beklagten) für dessen Verteidigung tragen muss.

Das Landgericht Ansbach in der ersten Instanz folgte dieser Argumentation: Es wies die Klage des Klägers auf Erstattung seiner Kosten ab und verurteilte ihn stattdessen zur Zahlung der Anwaltskosten der Beklagten.

Die Entscheidung des OLG Nürnberg: Deliktsrecht bricht Wettbewerbsrecht

Das OLG Nürnberg kippte diese Entscheidung vollständig. Die Richter stellten klar, dass hier nicht (nur) das Wettbewerbsrecht (UWG) entscheidend ist.

Eine falsche Beschwerde bei Amazon, die eine Sperrung von Angeboten zur Folge hat, ist mehr als nur ein Wettbewerbsverstoß. Sie stellt eine „unberechtigte Schutzrechtsverwarnung“ dar. Ein solches Handeln ist ein rechtswidriger und schuldhafter Eingriff in den „eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“ des betroffenen Händlers nach § 823 BGB (Deliktsrecht).

Das Anwaltsschreiben des Klägers war die direkte Reaktion auf diesen rechtswidrigen Eingriff. Die Anwaltskosten sind daher ein Schaden, der dem Kläger durch die unerlaubte Handlung der Beklagten entstanden ist. Dieser Schaden ist nach § 823 BGB zu ersetzen.

Der entscheidende Leitsatz des Gerichts lautet: Wenn ein Anspruchsschreiben einen solchen deliktischen Anspruch (aus § 823 BGB) geltend macht, gelten die strengen formellen Anforderungen des § 13 UWG für die Kostenerstattung nicht. Dies gilt selbst dann, wenn in dem Schreiben auch wettbewerbsrechtliche Ansprüche erwähnt werden.

Im Ergebnis musste die Beklagte die vollen Anwaltskosten des Klägers erstatten. Ihr eigener Anspruch auf Kostenerstattung (die Widerklage) wurde abgewiesen. Das OLG bestätigte zudem, dass die Beklagte dem Kläger auch allen weiteren Schaden (z. B. entgangener Gewinn) ersetzen muss.

Fazit für Unternehmer

Das Urteil ist eine wichtige Stärkung für alle Online-Händler, die Opfer von ungerechtfertigten Sperrungen durch Konkurrenten werden. Wer das Beschwerdesystem von Plattformen wie Amazon missbraucht, um Konkurrenten durch falsche Behauptungen zu blockieren, begeht einen schwerwiegenden Rechtsverstoß (Eingriff in den Gewerbebetrieb).

Die Kosten für den Anwalt, der zur Beseitigung der Sperre eingeschaltet wird, sind als Schadenersatz erstattungsfähig. Der Verursacher der Sperre kann sich zur Abwehr dieser Kosten nicht auf mögliche Formfehler im Anwaltsschreiben berufen, die sich aus dem Wettbewerbsrecht (UWG) ergeben könnten.


Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Datum: 08.07.2025
Aktenzeichen: 3 U 136/25
Fundstelle: GRUR 2025, 1513