YouTube-Sperrung: Wann eine Plattform ohne Anhörung handeln darf

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat in einer aktuellen Entscheidung die Rechte und Pflichten von Video-Plattformen wie YouTube bei der Moderation von Inhalten und der Sperrung von Nutzerkonten beleuchtet. Im Kern ging es um die Frage, ob eine Plattform einen Nutzer vor einer vorübergehenden Kontosperrung zwingend anhören muss oder ob eine nachträgliche Anhörung ausreicht.

Der Fall: Wiederholte Verstöße und die Folgen

Ein bekannter YouTuber klagte gegen die Betreibergesellschaft von YouTube. Er hatte wiederholt Videos hochgeladen, die nach Ansicht der Plattform gegen deren Community-Richtlinien verstießen. YouTube entfernte die Videos und verhängte in der Folge vorübergehende Funktionseinschränkungen, sogenannte „Verwarnungen“ (im englischen Sprachraum „strikes“), gegen sein Konto. Der Kläger forderte die Freistellung von seinen Anwaltskosten, die Löschung aller Vermerke über die Verstöße sowie die Unterlassung künftiger Kontosperrungen ohne vorherige Anhörung.

Er argumentierte, die Maßnahmen seien vertragswidrig gewesen, da die Nutzungsbedingungen keine vorherige Anhörung vorsahen. Dies verstoße gegen die vom Bundesgerichtshof (BGH) in Bezug auf Facebook-Entscheidungen aufgestellten Grundsätze. Dort wurde eine Anhörung vor einer Kontosperrung als grundsätzlich geboten angesehen.

Die Entscheidung des OLG Hamm

Das OLG Hamm wies die Berufung des Klägers vollumfänglich zurück. Der Senat stellte klar, dass die Rechtsprechung des BGH zu Facebook nicht ohne Weiteres auf YouTube übertragbar ist.

  • Kein Freistellungsanspruch für Anwaltskosten: Die Anwaltskosten wurden nicht als erstattungsfähig angesehen. Das Gericht betonte, dass der Kläger als erfahrener Nutzer die von YouTube bereitgestellten Beschwerde-Tools hätte nutzen müssen, bevor er einen Anwalt beauftragte. Die Beauftragung eines Anwalts war in diesen Fällen grundsätzlich nicht erforderlich.
  • Keine Anhörungspflicht bei Eskalationsstufen: Der zentrale Punkt des Urteils ist die Abwägung der Interessen. Das Gericht erkannte an, dass die Nutzungsbedingungen von YouTube ein gestuftes Vorgehen bei Verstößen vorsehen. Bei einem ersten Verstoß erfolgt lediglich eine Warnung. Erst bei wiederholten Verstößen innerhalb eines bestimmten Zeitraums folgen weitere, gestaffelte Maßnahmen wie vorübergehende Kontoeinschränkungen.Das OLG Hamm befand dieses System für angemessen. Es ist nicht unverhältnismäßig, bei einem Nutzer, der bereits gegen die Richtlinien verstoßen hat, aus Präventionsgründen ohne vorherige Anhörung zu handeln, um die Verbreitung weiterer potenziell rechtswidriger Inhalte zu verhindern. Es genügt, dem Nutzer die Möglichkeit zur nachträglichen Gegendarstellung zu geben. Die in den Nutzungsbedingungen verankerte Möglichkeit einer nachträglichen Beschwerde und Neubescheidung ist ausreichend.
  • Kein Anspruch auf Datenlöschung: Auch der Anspruch auf Löschung der Vermerke über die Videolöschungen und Sperrungen wurde abgewiesen. Das Gericht stellte fest, dass YouTube die Daten zur Verteidigung ihrer rechtlichen Position im laufenden Gerichtsverfahren speichern durfte. Ein Löschungsanspruch aus der DSGVO ist daher ausgeschlossen.

Die Bedeutung des Urteils für Unternehmer

Die Entscheidung des OLG Hamm unterstreicht, dass Plattformbetreiber mit einem transparenten und abgestuften Vorgehen bei der Inhaltsmoderation auf der sicheren Seite sein können. Das Urteil bietet eine wichtige Orientierung für die rechtliche Bewertung von Content-Moderationssystemen. Es erkennt an, dass die Betreiber von Online-Plattformen bei wiederholten Verstößen schnell und präventiv handeln müssen, um die Integrität ihrer Dienste zu schützen.


Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Datum: 03.06.2025
Aktenzeichen: 21 U 62/23

Sofortige Kontosperrung bei Verdacht auf Kinderpornografie: Wann darf eine Plattform ohne Vorwarnung handeln?

Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hat in einem aktuellen Urteil klargestellt, unter welchen Voraussetzungen Betreiber sozialer Netzwerke Konten ihrer Nutzer ohne vorherige Anhörung sperren dürfen – selbst dann, wenn sich der Verdacht später als unbegründet erweist. Anlass war ein Fall, in dem Unbekannte über das gehackte Konto einer Nutzerin kinderpornografisches Material verbreitet hatten. Die Plattform deaktivierte daraufhin das Nutzerkonto sofort, ohne die Kontoinhaberin vorher zu informieren.

Der Fall im Überblick

Die Klägerin nutzte ein soziales Netzwerk privat. Nach dem Upload strafbarer Inhalte – in diesem Fall kinderpornografischer Darstellungen – durch unbekannte Dritte wurde ihr Konto zunächst in einen „Checkpoint“-Status versetzt und kurz darauf vorübergehend gesperrt. Erst Wochen später wurde die Sperre aufgehoben, nachdem klar war, dass die Nutzerin selbst nicht verantwortlich war. Sie verlangte vor Gericht unter anderem:

  • Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperre,
  • Löschung der gespeicherten Sperrvermerke,
  • ein künftiges Unterlassungsgebot, ohne Anhörung zu sperren.

Das Landgericht hatte die Klage weitgehend abgewiesen. Vor dem OLG Karlsruhe hatte sie nur teilweise Erfolg.

Die Entscheidung des OLG Karlsruhe

Sofortige Sperrung ohne Anhörung grundsätzlich zulässig

Das Gericht stellte klar: Bei dem Verdacht, dass über ein Konto kinderpornografisches Material verbreitet wird, darf der Plattformbetreiber das Konto sofort sperren, um Missbrauch zu verhindern. Eine vorherige Anhörung ist hier nicht zwingend erforderlich. Das Gericht betonte das hohe öffentliche Interesse an der Bekämpfung solcher Straftaten. Daher kann eine umgehende Kontosperre gerechtfertigt sein, auch wenn sich später herausstellt, dass der Kontoinhaber nicht selbst gehandelt hat.

Diese Ausnahme gilt allerdings nur bei gravierenden Verstößen, insbesondere bei strafbaren Inhalten.

Anspruch auf Löschung veralteter Vermerke

Erfolgreich war die Klägerin mit ihrem Antrag, dass die Sperrvermerke aus dem Nutzerdatensatz gelöscht werden müssen. Das Gericht urteilte, dass die Speicherung dieser Daten nach Klärung des Vorfalls nicht mehr erforderlich sei. Eine bloß theoretische Möglichkeit, dass die Plattform sich künftig auf den Vorfall berufen könnte, rechtfertige kein dauerhaftes Festhalten der Daten.

Kein Unterlassungsanspruch für künftige Fälle

Das Gericht wies den Anspruch zurück, die Plattform müsse künftig vor jeder Sperre eine Anhörung durchführen. Nach Auffassung des Gerichts wäre ein so weitgehender Anspruch unzulässig, weil die Notwendigkeit einer sofortigen Sperre immer eine Einzelfallentscheidung bleiben muss. Auch ein Anspruch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperre bestand nicht, da dies keine eigenständige rechtliche Beziehung begründet und die Klägerin ihre Rechte auch anders hätte durchsetzen können.

Was bedeutet das für Betreiber und Nutzer?

Für Plattformbetreiber bedeutet das Urteil:

  • Bei Verdacht auf schwerwiegende Rechtsverstöße wie Kinderpornografie darf ein Konto ohne Vorwarnung gesperrt werden.
  • Dennoch müssen sie nach Klärung des Sachverhalts prüfen, ob gespeicherte Vermerke gelöscht werden müssen, um den Datenschutz zu wahren.

Für Nutzer gilt:

  • Auch wenn ein Konto vorübergehend deaktiviert wurde, besteht kein automatischer Anspruch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit.
  • Wer sicherstellen will, dass unberechtigte Vermerke gelöscht werden, kann sich auf das „Recht auf Vergessenwerden“ nach der DSGVO berufen.

Das Urteil zeigt eindrucksvoll die Abwägung zwischen dem Schutz der Öffentlichkeit und den Rechten des Einzelnen: Betreiber dürfen nicht zögern, um Straftaten zu verhindern – müssen aber nach Aufklärung des Sachverhalts konsequent aufräumen.


Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Datum der Entscheidung: 15. Januar 2025
Aktenzeichen: 14 U 150/23
Fundstelle: ZUM 2025, 475