Aggressive Verkaufsstrategie vor Bestellabschluss unzulässig – LG Berlin untersagt irreführende Angebotsseite

Mit Urteil vom 11. Februar 2025 hat das Landgericht Berlin, AZ: 15 O 287/24, der CopeCart GmbH bestimmte aggressive Verkaufspraktiken untersagt. Die Plattform hatte Verbrauchern nach dem eigentlichen Kaufabschluss mit irreführenden Zusatzangeboten konfrontiert und ihnen ein falsches Bild vom Widerrufsrecht vermittelt. Geklagt hatte der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), der sich mit seiner Einschätzung vollständig durchsetzen konnte.

Der Fall: Buch für 4,95 Euro – aber dann?

Kunden der Verkaufsplattform CopeCart konnten ein Buch für 4,95 Euro bestellen. Doch nach dem Klick auf den Button „Jetzt kostenpflichtig bestellen“ erschien keine Bestellbestätigung. Stattdessen wurden sie auf eine Seite mit einem angeblich nur kurzfristig erhältlichen Zusatzangebot („Sichtbarkeits-Bundle“) umgeleitet. Der Preis: 199 Euro statt 899 Euro. Begleitet war das Ganze von einem Countdown-Timer mit einer Frist von 15 Minuten.

Die Nutzer wurden explizit davor gewarnt, die Seite zu verlassen. Stattdessen mussten sie sich aktiv entscheiden – zwischen einem auffällig gestalteten „JA! JETZT ZUR BESTELLUNG HINZUFÜGEN“-Button oder einer unscheinbaren Ablehnungserklärung. Selbst nach dem Verzicht wurde eine weitere Angebotsseite eingeblendet – ebenfalls mit Countdown – bevor die ursprüngliche Buchbestellung überhaupt bestätigt wurde.

Die Entscheidung: Unzulässiger psychologischer Druck

Das Landgericht Berlin sah hierin eine aggressive geschäftliche Handlung im Sinne des § 4a UWG. Verbrauchern würden nach der Bestellung im Unklaren gelassen, ob der Bestellvorgang bereits abgeschlossen sei. Sie seien gezwungen, sich unter Zeitdruck durch mehrere Angebote zu klicken, ohne zu wissen, ob ihr ursprünglicher Kauf bereits erfolgt sei oder nicht.

Der eingesetzte Countdown-Timer wurde zusätzlich als irreführend eingestuft. Zwar wurde suggeriert, das Angebot sei nur 15 Minuten gültig, tatsächlich ließ sich der Timer durch Aktualisieren der Seite beliebig neu starten. Dies diene lediglich der Erzeugung von Druck, nicht einer realen Angebotsbegrenzung.

Täuschung über Widerrufsrecht

Ein weiterer Punkt betraf das Widerrufsrecht. Vor dem Kauf mussten Kunden bestätigen, dass sie auf ihr 14-tägiges Widerrufsrecht verzichten. Dies sei bei einem gedruckten Buch aber gar nicht zulässig – ein solcher Ausschluss ist nur bei digitalen Inhalten wie Downloads möglich. Die Erklärung sei daher objektiv falsch und geeignet, Verbrauchern von der Ausübung ihres Widerrufsrechts abzuhalten.

Bedeutung für Online-Händler und Verkaufsplattformen

Das Urteil zeigt deutlich, wo die rechtlichen Grenzen aggressiver Verkaufsstrategien verlaufen. Wer nach dem eigentlichen Bestellvorgang mit psychologisch aufgebautem Zeitdruck arbeitet oder zusätzliche Hürden einbaut, setzt sich dem Risiko wettbewerbsrechtlicher Abmahnungen aus.

Konkret bedeutet das:

  • Zusatzangebote dürfen nicht den eigentlichen Bestellablauf blockieren oder intransparent machen.
  • Falsche Angaben zum Widerrufsrecht können als Täuschung gewertet werden.
  • Visuelle Tricks (Countdowns, Warnhinweise) dürfen nicht künstlich Druck erzeugen.

Online-Händler sind gut beraten, Verkaufsprozesse klar, transparent und rechtlich sauber zu gestalten – vor allem dann, wenn digitale und physische Produkte kombiniert vermarktet werden.


Gericht: Landgericht Berlin
Entscheidungsdatum: 11. Februar 2025
Aktenzeichen: 15 O 287/24
Fundstelle: Derzeit noch nicht in juristischen Fachzeitschriften veröffentlicht
Hinweis: Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig

OLG Bamberg: Unzulässige Gestaltung der Ticketversicherung auf eventim.de – Dark Pattern verletzt Verbraucherrechte

Das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg hat mit Urteil vom 5. Februar 2025 einer Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) gegen die Ticketplattform CTS Eventim teilweise stattgegeben. Es ging um die visuelle und funktionale Gestaltung des Angebots einer kostenpflichtigen Ticketversicherung im Bestellprozess auf eventim.de. Nach Ansicht des Gerichts verstößt die Plattform mit ihrer sogenannten „Empfehlungsseite“ gegen Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) in Verbindung mit der europäischen Verordnung über digitale Dienste (DSA).​ Gegenstand des Verfahrens waren u.a. sog. Dark Patterns.

Was sind „Dark Patterns“?

„Dark Patterns“ sind Gestaltungsmuster in Benutzeroberflächen, die gezielt darauf ausgelegt sind, Nutzer zu bestimmten Entscheidungen zu drängen – meist zugunsten des Unternehmens. Typische Beispiele sind:

  • Nagging: wiederholte Aufforderungen zur Entscheidung, obwohl der Nutzer bereits eine Auswahl getroffen hat.
  • Framing: visuelle Hervorhebungen oder suggestive Formulierungen, die eine Option attraktiver erscheinen lassen als andere.
  • Trickfragen oder versteckte Kosten: verwirrende Formulierungen oder Zusatzangebote, die schwer zu erkennen oder zu umgehen sind.

Solche Praktiken beeinträchtigen die Fähigkeit der Nutzer, freie und informierte Entscheidungen zu treffen. Der Digital Services Act (DSA) verbietet bestimmte Dark Patterns ausdrücklich, um Verbraucher besser zu schützen.

Hintergrund des Falls: Die Gestaltung der Ticketversicherung

Eventim bietet beim Ticketkauf optional eine Ticketversicherung an. Diese wird in einer farblich hervorgehobenen Weise präsentiert. Wird sie nicht ausgewählt, erscheint beim Weiterklicken zur Kasse ein zusätzliches Fenster („Empfehlungsseite“), in dem die Nutzer erneut zur Entscheidung über die Versicherung aufgefordert werden. Dabei ist der Button zur Ablehnung mit „Ich trage das volle Risiko“ beschriftet.​

Die Klage des vzbv

Der vzbv beantragte, Eventim die konkrete Gestaltung der Versicherungsoption zu untersagen, da diese gegen Art. 25 der DSA verstoße. Im Detail kritisierte er zwei Punkte:​

  1. Die farbliche Hervorhebung der Versicherungsoption auf der Bestellseite.​
  2. Die wiederholte Aufforderung zur Auswahl der Ticketversicherung auf der „Empfehlungsseite“, insbesondere in Kombination mit der suggestiven Button-Beschriftung.​

Das Urteil im Detail

Das OLG Bamberg gab der Klage nur teilweise statt:​

  • Antrag zur Bestellseite: Abgewiesen. Zwar liege ein „Framing“ im Sinne der DSA vor – also eine unneutrale Präsentation –, jedoch sei die Schwelle einer „maßgeblichen Beeinträchtigung“ der Entscheidungsfreiheit nicht überschritten. Ein durchschnittlicher, informierter Nutzer könne erkennen, dass es sich um ein freiwilliges Zusatzangebot handelt.​
  • Antrag zur Empfehlungsseite: Stattgegeben. Das Gericht sah hier ein sogenanntes „Dark Pattern“ im Sinne von Art. 25 Abs. 3 lit. b) DSA – konkret ein „Nagging“: Die Nutzer werden erneut zur Entscheidung aufgefordert, obwohl sie bereits keine Versicherung gewählt hatten. In Kombination mit der Angabe „Ich trage das volle Risiko“ entsteht ein bedrohliches Szenario, das die Entscheidungsfreiheit unzulässig beeinflusst. Dieses Vorgehen sei auch nach §§ 3 Abs. 2, 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UWG unzulässig.​

Bedeutung für die Praxis

Das Urteil zeigt deutlich: Anbieter von Online-Diensten müssen bei der Gestaltung ihrer Nutzeroberflächen auf Neutralität achten. Wiederholte Nachfragen oder suggestive Formulierungen können unzulässig sein, wenn sie die Entscheidungsfreiheit der Nutzer spürbar beeinträchtigen. Die Entscheidung stellt ein wichtiges Signal für die Anwendung des Digital Services Act dar und konkretisiert die Anforderungen an sogenannte Dark Patterns.​