Keine Geldentschädigung für Zwangsouting – LG Berlin zur Pressefreiheit vs. Persönlichkeitsrecht

Ein Bericht über die angebliche Beziehung eines Geschäftsführers mit einem Kollegen und dessen geplante Beförderung führte zu einem gerichtlichen Streit um Geldentschädigung. Der Kläger sah sich durch die Presseveröffentlichung in unzutreffender Weise geoutet und in seinem beruflichen wie privaten Ansehen geschädigt. Das Landgericht Berlin II, Urteil vom 26.11.2024 – 27 O 507/23 – ZUM-RD 2025, 261 (nicht rechtskräftig), lehnte eine Entschädigung in sechsstelliger Höhe jedoch ab.

Sachverhalt

Ein langjähriges Mitglied der Geschäftsführung eines Unternehmens verklagte ein Online-Medium, das berichtet hatte, er wolle seinen „Lebensgefährten zum Firmenchef machen“. Die Veröffentlichung enthielt Angaben zu einer angeblichen Liebesbeziehung sowie zur (nicht geplanten) Berufung des Partners zum Geschäftsführer.

Der Kläger argumentierte, die Aussagen seien falsch und stellten ein Zwangsouting dar. Zudem werde durch die Kombination beider Aussagen suggeriert, die Personalentscheidung basiere auf der privaten Beziehung – was seinen Ruf beschädige. Er forderte daher mindestens 100.000 Euro Schmerzensgeld sowie Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Landgericht wies die Klage als unbegründet ab:

  • Zulässigkeit bejaht: Das Gericht sah sich örtlich zuständig (§ 32 ZPO) und verwarf die Einwände gegen den sogenannten „fliegenden Gerichtsstand“.
  • Kein Anspruch auf Geldentschädigung: Zwar sei die Offenlegung der sexuellen Orientierung grundsätzlich ein erheblicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht. Doch fehlten konkrete Belege für daraus erwachsene schwerwiegende Nachteile. Der Kläger konnte keine konkreten beruflichen oder privaten Folgen nachweisen, die über allgemeine Unannehmlichkeiten hinausgehen.
  • Ton und Kontext der Berichterstattung: Die Darstellung sei sachlich und nicht herabsetzend erfolgt. Die sexuelle Orientierung war kein zentraler, sondern nur ein Randaspekt. Der Eindruck, der angebliche Partner sei ausschließlich wegen der Beziehung befördert worden, sei nicht entstanden – im Gegenteil, der Artikel würdigte dessen fachliche Qualitäten.
  • Vorbekannte Information: Die sexuelle Orientierung war bereits Teilen des privaten Umfelds bekannt, sodass ein vollständiges „Outing“ durch den Bericht nicht vorlag.
  • Vorliegender Unterlassungstitel: Dass bereits ein Unterlassungstitel gegen die Berichterstattung erwirkt wurde, sprach zusätzlich gegen die Notwendigkeit einer Geldentschädigung.

Fazit für die Praxis

Das Urteil verdeutlicht die hohe Schwelle für Geldentschädigungen bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch die Presse. Unternehmer müssen nicht nur einen Eingriff, sondern auch erhebliche und konkrete negative Folgen belegen. Berichterstattungen, die sachlich und ohne Sensationsgier formuliert sind, genießen unter dem Schutz der Pressefreiheit weiten Raum – selbst wenn sie sensible private Informationen enthalten.

BGH zu Bewertungen im Internet: Kein Auskunftsanspruch bei wertender Kritik

Der BGH (Urteil vom 11.03.25, AZ: VI ZB 79/23, NJW 2025, 1585) hat klargestellt, dass Arbeitgeber nicht ohne weiteres Anspruch auf Herausgabe von Nutzerdaten gegenüber Bewertungsplattformen haben, wenn es um negative Bewertungen geht. Entscheidend ist, ob es sich bei der Kritik um eine Meinungsäußerung oder um eine falsche Tatsachenbehauptung handelt.

Worum ging es?

Eine Anwaltskanzlei wollte von einer Arbeitgeberbewertungsplattform die Daten eines Nutzers erhalten, der eine kritische Bewertung zum „Vorgesetztenverhalten“ abgegeben hatte. Der Nutzer hatte unter anderem geschrieben, dass „ausgeschiedene Mitarbeiter ausstehendes Gehalt und sogar die Erteilung von Arbeitszeugnissen gerichtlich durchsetzen müssen“. Die Kanzlei empfand dies als falsche Tatsachenbehauptung und sah sich in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Sie beantragte beim Gericht eine Anordnung zur Auskunftserteilung über die Bestandsdaten des Nutzers gemäß § 21 Abs. 2 TDDDG (früher TTDSG).

Was entschied das Gericht?

Der Antrag wurde in allen Instanzen abgelehnt – zuletzt auch vom BGH. Die Richter sahen in der streitigen Äußerung keine strafbare Tatsachenbehauptung, sondern eine zulässige Meinungsäußerung. Zwar habe es in der Vergangenheit tatsächlich nur einen einzelnen Fall gegeben, in dem ein Mitarbeiter Ansprüche gerichtlich durchsetzen musste. Der BGH betonte aber:

  • Der Plural („Mitarbeiter“) lässt sich auch als rhetorisch gemeint oder verallgemeinernd verstehen.
  • Der Kontext („Bewertung des Vorgesetztenverhaltens“) spricht für eine subjektive Einschätzung.
  • Die Formulierung sei im Präsens gehalten („durchsetzen müssen“), was eher für eine Wertung oder Prognose spreche als für eine rückblickende Tatsachenschilderung.

Da die Äußerung nicht den Straftatbestand der §§ 185, 186 oder 187 StGB erfülle, seien die Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 TDDDG für eine Auskunftserteilung nicht erfüllt.

Fazit für Unternehmer:

Negative Onlinebewertungen müssen Unternehmer nicht automatisch hinnehmen – aber nicht jede Kritik begründet einen Anspruch auf Herausgabe von Nutzerdaten. Nur bei klar falschen Tatsachenbehauptungen, die strafrechtlich relevant sind (z. B. Verleumdung oder üble Nachrede), kann ein solcher Anspruch bestehen. Wertende Kritik hingegen – selbst wenn sie überspitzt oder polemisch formuliert ist – fällt regelmäßig unter die Meinungsfreiheit und ist zulässig.

Wer gegen anonyme Bewertungen vorgehen möchte, sollte also sorgfältig prüfen (lassen), ob es sich um eine Tatsachenbehauptung oder um ein Werturteil handelt. Nur im ersten Fall bestehen überhaupt Chancen auf die Ermittlung des Verfassers.

BGH-Urteil: Meinungsfreiheit überwiegt bei medienkritischer Äußerung

Ein Journalist veröffentlichte auf einer bekannten Nachrichtenplattform einen Artikel über ein siebenjähriges Mädchen aus Aleppo, das angeblich über Twitter über die Kriegsereignisse berichtete. Ein Blogger kritisierte diesen Bericht scharf auf seiner eigenen Webseite und bezeichnete den Journalisten unter anderem als „Nachrichtenfälscher“ und „Fake-News-Produzent“. Der Journalist und die betreibende Medienplattform sahen darin eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts und klagten auf Unterlassung.

Entscheidungen der Vorinstanzen

Das Landgericht Hamburg und das Oberlandesgericht Hamburg gaben der Klage statt. Sie bewerteten die Äußerungen des Bloggers als unzulässige Tatsachenbehauptungen und untersagten deren weitere Verbreitung.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der BGH hob die Urteile der Vorinstanzen auf und wies die Klage ab. Die Begründung:

  1. Werturteil statt Tatsachenbehauptung: Die Bezeichnungen wie „Nachrichtenfälscher“ und „Fake-News-Produzent“ seien als Werturteile einzustufen, nicht als Tatsachenbehauptungen. Sie stellten eine subjektive Bewertung des Bloggers dar, basierend auf seiner Interpretation des journalistischen Artikels.​
  2. Keine Schmähkritik: Obwohl die Äußerungen polemisch und scharf formuliert seien, überschritten sie nicht die Grenze zur Schmähkritik. Der Blogger setzte sich sachlich mit dem Inhalt des Artikels auseinander und äußerte seine Kritik im Rahmen einer öffentlichen Debatte über Medienberichterstattung im Syrienkrieg.​
  3. Ausreichende Tatsachengrundlage: Der Blogger stützte seine Kritik auf nachvollziehbare Anhaltspunkte, wie etwa Zweifel an der Fähigkeit eines siebenjährigen Mädchens, komplexe englische Tweets zu verfassen. Solche Zweifel wurden auch in anderen Medienberichten thematisiert.​
  4. Abwägung der Grundrechte: Der BGH betonte die Bedeutung der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG. Journalisten und Medienunternehmen müssten sich auch scharfe Kritik gefallen lassen, solange diese auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage beruht und nicht die Grenze zur Schmähkritik überschreitet.​

Bedeutung für die Praxis

Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung der Meinungsfreiheit, insbesondere bei medienkritischen Auseinandersetzungen. Es zeigt, dass auch scharfe und polemische Kritik zulässig sein kann, solange sie auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage basiert und nicht ausschließlich der Diffamierung dient.​

Fazit

Der BGH stärkt mit diesem Urteil die Meinungsfreiheit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht von Medienschaffenden. Selbst drastische Formulierungen können rechtlich zulässig sein, wenn sie auf nachvollziehbaren Argumenten beruhen und im Kontext einer öffentlichen Debatte stehen.

Gericht: Bundesgerichtshof
Entscheidung vom: 10. Dezember 2024
Aktenzeichen: VI ZR 230/23
Fundstelle: GRUR 2025, 598

Kunstfreiheit vs. Persönlichkeitsrecht: OLG Hamburg bestätigt Schutz fiktiver Romanfiguren trotz realer Vorbilder

In einem viel beachteten Beschluss hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 18. März 2025, AZ: 7 W 23/25, BeckRS 2025, 6014068) klargestellt, dass die Kunstfreiheit eines Romans auch dann überwiegen kann, wenn reale Personen als Vorbilder erkennbar sind – solange die Darstellung als fiktional erkennbar bleibt und keine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt.

Der Fall

Ein prominentes Galeristenpaar aus Berlin verlangte im Eilverfahren die Unterlassung der Veröffentlichung des Romans „Innerstädtischer Tod“. Sie sahen sich in den Romanfiguren „Konrad Raspe“ und „Eva-Kristin Raspe“ wiedererkannt und machten eine Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte geltend. Die Figuren wiesen zahlreiche Parallelen zu den Antragstellern auf – unter anderem betreiben beide Paare eine Galerie in einer ehemaligen Kirche, und gegen den Antragsteller zu 1) wurden – wie im Roman – Vorwürfe sexueller Übergriffe öffentlich erhoben.

Die Entscheidung

Das OLG wies die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags auf einstweilige Verfügung zurück. Es bestätigte die Entscheidung des LG Hamburg vom 24. Februar 2025 (Az. 324 O 44/25) und stellte sich auf die Seite der Kunstfreiheit:

  • Erkennbarkeit allein genügt nicht: Auch wenn die Antragsteller als reale Vorbilder identifiziert werden können, führt dies nicht automatisch zu einem Unterlassungsanspruch. Entscheidend sei die Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Kunstfreiheit.
  • Keine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung: Die Romanfiguren seien deutlich fiktionalisiert, wiesen Unterschiede zu den Antragstellern auf (z. B. kein gemeinsames Kind, abweichende Altersstruktur, andere Galeriearchitektur) und seien eingebettet in ein vielschichtiges literarisches Werk mit wechselnden Perspektiven und Themenkomplexen.
  • Fiktionaler Charakter erkennbar: Der Roman erhebe keinen Faktizitätsanspruch, bezeichne sich explizit als fiktiv und enthalte einen „Disclaimer“, der auf die künstlerische Gestaltung verweist. Die Leser würden den Text als literarische Fiktion und nicht als Tatsachenbericht wahrnehmen.
  • Keine Verletzung der Intimsphäre: Selbst die expliziten Szenen – wie eine Affäre zwischen der Romanfigur „Eva-Kristin Raspe“ und einem Künstler – seien klar als Fiktion erkennbar und dienten literarischen Zwecken.

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung stärkt die Kunstfreiheit und gibt Verlagen sowie Autoren mehr Sicherheit im Umgang mit realitätsnahen literarischen Werken. Auch wenn reale Personen als Vorbilder dienen, ist entscheidend, dass das Werk insgesamt als Fiktion erkennbar bleibt und keine schwerwiegende Herabwürdigung oder Bloßstellung erfolgt. Gleichzeitig mahnt das OLG zur sorgfältigen Abwägung im Einzelfall, insbesondere wenn sensible Lebensbereiche wie Sexualität oder Gesundheit betroffen sind.

Die vom Gericht entwickelten Abwägungsgrundsätze gelten nicht nur für Romane, sondern lassen sich grundsätzlich auch auf andere Kunstformen wie Theaterstücke oder Filme übertragen. Entscheidend ist stets, ob ein Werk einen Faktizitätsanspruch erhebt oder sich als Fiktion zu erkennen gibt. Auch bei filmischen Darstellungen, die an reale Ereignisse oder Personen angelehnt sind, ist daher zu prüfen, ob eine ausreichende Verfremdung vorliegt und der fiktionale Charakter deutlich wird.

Boris Becker vs. Oliver Pocher und eine juristische Definition von Satire

Das Landgericht Offenburg hatte über einen Rechtsstreit zwischen Boris Becker und Oliver Pocher zu entscheiden (Urteil vom 15.11.2022, Az.: 2 O 20/21).

In der RTL-Sendung „Pocher – gefährlich ehrlich“ im Oktober 2020 wurde ein Beitrag unter dem Slogan „Make Boris rich again“ ausgestrahlt, in dem zu Spenden für Boris Becker aufgerufen wurde, weil über dessen Vermögen in Großbritannien das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Die eingesammelten „Spenden“ – ein dreistelliger Betrag – sollten Boris Becker übergeben werden, der jedoch die Annahme des Geldes verweigerte.

Oliver Pocher erfand daher einen „Modepreis“, welcher Boris Becker angeblich zukommen sollte. In der Preistrophäe war das gesammelte Bargeld versteckt, so dass bei der Preisübergabe Boris Becker das Geld übergeben werden sollte. Boris Becker wusste nichts davon.

Boris Becker erhob gegen Oliver Pocher vor dem Landgericht Offenburg eine Klage auf Unterlassung, weil er sich durch den Beitrag und insbesondere durch die Täuschung in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt sah.

In der vorgenommenen Abwägung entschied das Landgericht jedoch, dass die Kunst- und Meinungsfreiheit, welche Oliver Pocher für sich in Anspruch nehmen konnte, das Persönlichkeitsrecht von Boris Becker überwiege. Denn bei dem Fernsehbeitrag handle es sich um Satire.

Das Landgericht Offenburg hat dabei die (juristische) Definition von „Satire“ sehr gut herausgearbeitet. In Rdnr. 111 des Urteil heißt es:

Jedoch stellt sich die Täuschung des Klägers hinsichtlich der eigentlichen Hintergründe der Preisverleihung als der satirischen Berichterstattung zuzurechnendes Stilmittel dar. Satire arbeitet mit unterschiedlichen Elementen bzw. Stilfiguren, denen gemein ist, dass sie zu Überzeichnungen und Übertreibungen neigen, die typischerweise zu Lasten desjenigen gehen, der Gegenstand der satirischen Darstellung ist. Neben der Übertreibung (BVerfG, Beschluss vom 03.06.1987 — 1 BvR 313/85, BVerfGE 75, 369-382; BGH, Urteil vom 10.01.2017 – VI ZR 562/15, juris Rn. 14; Staudinger/Hager, BGB, Neubearbeitung 2017, C. Das Persönlichkeitsrecht Rn. C67) und der Zuspitzung (LG München I, Urteil vom 30.10.2015 – 9 O 5780/16, AfP 2016, 89 (91) sind als weitere Stilmittel der Satire die Ironie (OLG Hamm, Urteil vom 04.02.2004 – 3 U 168/03, juris Rn. 30; Härting in: Härting, Internetrecht, 6. Aufl.2017, B. Persönlichkeitsrechte Rn. 472), die Verfremdung bzw. Verzerrung (BVerfG, Beschluss vom 03.06.1987 – 1 BvR 313/85, BVerfGE 75, 369-382; BGH, Urteil vom 10.01.2017 – VI ZR 562/15, juris Rn. 14; Staudinger/Hager, BGB, Neubearbeitung 2017, C. Das Persönlichkeitsrecht Rn. C67), der Spott (OLG Hamm, Urteil vom 04.02.2004, – 3 U 168/03, juris Rn. 30) und schließlich auch der – gegebenenfalls auch bösartige – Scherz (vgl. BGH, Urteil vom 28.07.2016 – I ZR 9/15, juris Rn. 33; BGH, Urteil vom 26.10.2006 – I ZR 182/04, juris Rn. 11; BGH, Urteil vom 03.06.1986 – VI ZR 102/85, juris Rn. 19, 21) anerkannt. Nachdem es der Satire insoweit wesenseigen ist, mit Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen zu arbeiten, werden gerade im Bereich der Satire die Grenzen des guten Geschmacks und des einwandfreien Sprachgebrauchs oftmals überschritten, wobei eine „Niveaukontrolle“ gleichwohl nicht stattfinden darf (BGH, Urteil vom 07.12.1999 – VI ZR 51/99, juris Rn. 43 m.w.N.). Die vorliegende Täuschung des Klägers über die wahren Hintergründe der Preisverleihung ist als Bestandteil der satirischen Berichterstattung anzusehen, hinsichtlich derer sich der Beklagte auf das Grundrecht der Meinungs- und Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG berufen kann.“

Auch sah das Landgericht kein berechtigtes Interesse von Boris Becker verletzt, weswegen die Unterlassungsklage scheiterte.

Anspruch eines Vereins auf Aufnahme der Webseite einer Gemeinde

Das Verwaltungsgericht Stuttgart (Urteil vom 21.04.2022, Az.: 7 K 3169/21) musste darüber entscheiden, ob ein gemeinnütziger Verein einen Anspruch darauf hat, auf die Webseite seiner Gemeinde aufgenommen zu werden.

Auf der Webseite der beklagten Gemeinde gab es eine umfangreiche Datenbank aller Vereine der Gemeinde mit entsprechenden Verlinkungen.

Bei dem klagenden Verein handelt es sich um einen gemeinnützigen Verein, der die sog. BDS-Kampagne unterstützt. Bei dieser BDS-Kampagne handelt es sich um ein politisch brisantes Thema. Die Unterstützer dieser Kampagne kritisieren die Politik Israels im Zusammenhang mit den Palästinensern und rufen zum Boykott Israels und deren Exporte auf. Der Deutsche Bundestag hatte 2019 beschlossen, dass die BDS-Kampagne antisemitische Züge trage.

Unter Bezugnahme auf den Beschluss des Deutschen Bundestages lehnte die beklagte Gemeinde die Aufnahme des klagenden Vereins auf die Webseite ab, da die Gemeinde jegliche Diskriminierung des Staates Israels, seiner Einwohner und Einrichtungen verurteile.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart entschied nun, dass die Ablehnung der Aufnahme auf die Webseite rechtswidrig sei.

Aus der Gemeindeordnung Baden-Württemberg ergäbe sich zunächst das Recht, dass Vereine und juristische Personen die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde nach gleichen Grundsätzen benutzen dürfen. Das Verwaltungsgericht war der Auffassung, dass auch die „offizielle Webseite“ der Gemeinde eine solche öffentliche Einrichtung sei.

Wenn nun der klagende Verein nicht aufgenommen werde, werde durch diese Entscheidung die Meinungsfreiheit des klagenden Vereins in unzulässigerweise eingeschränkt. Durch die Ablehnung werde in das Grundrecht eingegriffen, wobei der Eingriff nicht gerechtfertigt sei. Das Verwaltungsgericht schreibt dazu:

„Der Eingriff ist auch nicht gerechtfertigt. Die Meinungsfreiheit findet nach Art. 5 Abs. 2 GG ihre Grenze in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Als allgemeine Gesetze im Sinne dieses Schrankenvorbehalts können nur Vorschriften gelten, die kein Sonderrecht gegen eine bestimmte Meinung schaffen und sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, sondern dem Schutz eines schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsgut dienen. An der Allgemeinheit eines Gesetzes fehlt es, wenn eine inhaltsbezogene Meinungsbeschränkung sich von vornherein nur gegen bestimmte Überzeugungen, Haltungen oder Ideologien richtet. Eine die Meinungsfreiheit beschränkende Norm darf nur an dem zu schützenden Rechtsgut ausgerichtet sein und nicht an einem Wert- oder Unwerturteil hinsichtlich konkreter Haltungen oder Gesinnungen (…).

Auch hilft der Beklagten der angeführte Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17.05.2019 (BT-Drucksache 19/10191) nicht weiter, in dem u.a. die Gemeinden dazu aufgerufen werden, der BDS-Bewegung oder Gruppierungen, die die Ziele der Kampagne verfolgen, keine Räumlichkeiten und Einrichtungen zur Verfügung zu stellen. Denn dieser Beschluss ist ein sog. schlichter Parlamentsbeschluss, von dem keine rechtliche Verbindlichkeit ausgeht. Der Beschuss ist vielmehr als politische Meinungsäußerung im Rahmen einer kontroversen Debatte anzusehen. Schlichte Parlamentsbeschlüsse können jedoch keine Rechtsgrundlage für grundrechtsbeschränkende Entscheidungen darstellen.“

Das Verwaltungsgericht hat daher der Klage stattgegeben.

Harte Kritik an einem Unternehmen kann zulässig sein

Der BGH hat in einer aktuellen Entscheidung (Urteil vom 16.12.2014 – Az.: VI ZR 39/14) geurteilt, dass Wirtschaftsunternehmen grundsätzlich auch scharfe und überzogene Meinungsäußerungen hinnehmen müssen. Eine wertende Kritik an der gewerblichen Leistung eines Wirtschaftsunternehmens sei in der Regel auch dann vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt, wenn sie scharf und überzogen formuliert sei, so der BGH. Sie könne daher nur unter engen Voraussetzungen als Schmähkritik angesehen werden. Da sich Wirtschaftsunternehmen in der Öffentlichkeit bewegen, müssen sie daher grundsätzlich eine kritische öffentliche Diskussion hinnehmen, so die Schlussfolgerung des BGH. In dem besagten Fall ging es um Äußerungen eines Wissenschaftsjournalisten in einem Mail, in dem der Journalist das Produkt bzw. die Tätigkeit des klagenden Unternehmens als „Betrug, Schwindel, Scharlatanerie“ bezeichnet hatte. Der Journalist konnte sich bei seiner Äußerung allerdings auch auf unabhängige Gutachten stützen. Da also seine harte Kritik auch auf Fakten beruhte, waren die Äußerungen zulässig.

Dieses Urteil liegt damit auf einer Linie mit der Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 14.01.2015 (siehe unsere News dazu vom 29.01.2015). Dort hatte das OLG entschieden, dass im politischen Meinungskampf ebenfalls mit harten und scharfen Worten kritisiert werden darf.

Wer gegen solche Äußerungen vorgehen möchte, – egal ob diese im politischen Meinungskampf gefallen sind oder ob es sich um Kritik an einem Unternehmen handelt – sollte daher vorher gut abwägen, ob er die Kritik akzeptiert und sich ggfs. auch öffentlich dagegen wehrt oder ob er gerichtliche Schritte einleitet. Werden gerichtliche Schritte eingeleitet und der Prozess geht verloren, so erreicht man exakt das Gegenteil von dem, was man eigentlich bezwecken wollte: über das Urteil wird eventuell öffentlich diskutiert und derjenige, der sich geäußert hatte, fühlt sich in seinem Tun sogar noch bestärkt.

Äußerungsrecht: Bezeichnung als Betrüger, Rechtsbrecher, Lügner, Halunke oder Gauner kann zulässig sein

Im politischen Meinungskampf wird mit harten Bandagen gekämpft. Hierbei sind auch kritische und abwertende Meinungen zuzulassen. Das Recht der Meinungsfreiheit ist ein elementarer Gegenstand der Rechtsordnung und Voraussetzung für einen freien und offenen politischen Prozess.

Insbesondere im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit gegensätzlichen Positionen sind dabei auch Begriffe wie „Betrüger, Rechtsbrecher, Lügner, Halunke oder Gauner“ erlaubt, so das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.01.2015 – Az. 6 U 156/14). Zwar ist jeweils eine Abwägung im Einzelfall erforderlich. Im konkreten Fall, in dem ein ehemaliges Mitglied der Partei Alternative für Deutschland (AfD) ein anderes Gründungsmitglied dieser Partei in einer E-Mail an mehrere Parteimitglieder so bezeichnet hat, ging das Oberlandesgericht Karlsruhe von einer zulässigen Meinungsäußerung aus.

Bei einer die Öffentlichkeit interessierenden Frage könne nur ausnahmsweise von einer sogenannten Schmähkritik ausgegangen werden. Wenn ohne sachliches Anliegen nur noch eine persönliche Kränkung im Vordergrund stehe, wäre eine solche Schmähkritik auch als Meinungsäußerung unzulässig. Dies hat das Oberlandesgericht Karlsruhe vorliegend verneint.

Es zeigt sich, dass im Äußerungsrecht jeweils eine Abwägung der widerstreitenden persönlichen Interessen gegenüber den Grundsätzen der Meinungsfreiheit erfolgen muss.