BGH zur Bildberichterstattung im Wirecard-Skandal: Wenn ein Bild (doch) mehr sagt als tausend Worte

Im Zentrum der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27. Mai 2025, AZ: VI ZR 337/22, steht die Frage, ob ein Nachrichtenmagazin während eines laufenden Strafverfahrens das Foto eines Beschuldigten veröffentlichen darf. Anlass war ein SPIEGEL-Bericht über den Wirecard-Skandal, der mit einem unverpixelten Portraitfoto des ehemaligen Managers Oliver Bellenhaus bebildert war. Dieser hatte in der Vergangenheit die Wirecard-Tochtergesellschaft „CardSystems MiddleEast FZ-LLC“ geleitet, die eine zentrale Rolle in dem milliardenschweren Bilanzbetrug spielte.

Vorinstanzen: Bildberichterstattung zunächst untersagt

Das Landgericht München I und später das Oberlandesgericht München untersagten die Veröffentlichung des Fotos. Zwar erkannten beide Gerichte an, dass eine Namensnennung in einer Verdachtsberichterstattung zulässig sei, verneinten jedoch ein öffentliches Interesse an der bildlichen Identifizierung des Klägers. Sie betonten insbesondere die Gefahr einer Prangerwirkung und die Bedeutung der Unschuldsvermutung.

BGH: Öffentlichkeitsinteresse überwiegt im Einzelfall

Der Bundesgerichtshof hob diese Entscheidungen auf. Die Richter stellten klar, dass im vorliegenden Fall das Informationsinteresse der Öffentlichkeit das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers überwiege. Der Wirecard-Skandal sei eines der größten Wirtschaftsverbrechen der Nachkriegsgeschichte und habe weit über den Finanzsektor hinaus politische und gesellschaftliche Relevanz entfaltet. Die Medienberichterstattung über zentrale Akteure sei daher von erheblichem öffentlichem Interesse.

Rolle des Klägers und freiwilliger Gang in die Öffentlichkeit

Besonders bedeutsam war für den BGH, dass der Kläger selbst die Öffentlichkeit suchte. Er hatte sich nicht nur freiwillig den Ermittlungsbehörden gestellt, sondern trat auch als Kronzeuge auf und entschuldigte sich öffentlich vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuss. In dieser Situation könne sich der Kläger nicht auf einen vollständigen Schutz vor identifizierender Bildberichterstattung berufen.

Keine Verletzung berechtigter Interessen

Auch das konkrete Foto sah der BGH als unbedenklich an. Es handelte sich um eine sachliche Portraitaufnahme aus dem Jahr 2006, die keine entwürdigende oder verfälschende Wirkung entfaltete. Zudem hatte der Kläger ein vergleichbares Bild bereits selbst in einer Unternehmensbroschüre veröffentlicht. Eine zusätzliche Stigmatisierung durch die Veröffentlichung im SPIEGEL sei daher nicht anzunehmen.

Bedeutung für die Praxis: Pressefreiheit gestärkt

Die Entscheidung hat weitreichende Bedeutung für Medienunternehmen, aber auch für Betroffene von Strafverfahren. Der BGH stellt klar: Auch während laufender Ermittlungen kann die Veröffentlichung eines unverpixelten Fotos zulässig sein – jedenfalls dann, wenn ein überragendes Informationsinteresse besteht, die Berichterstattung sachlich ist und der Betroffene bereits selbst in die Öffentlichkeit getreten ist.


Gericht: Bundesgerichtshof
Entscheidung vom: 27. Mai 2025
Aktenzeichen: VI ZR 337/22

Architektenwerk oder Handwerk? LG Köln zum Urheberrecht an Innenraumgestaltung

In einem aktuellen Urteil hat das Landgericht Köln (AZ: 14 O 145/23) zentrale Fragen zum Urheberrechtsschutz architektonischer Gestaltungen beantwortet – und dabei wichtige Maßstäbe für den Umgang mit Planungsleistungen, Fotografien und der öffentlichen Darstellung gelegt. Streitgegenstand war die Veröffentlichung professioneller Fotografien der Innenräume eines denkmalgeschützten Hofgebäudes im Internet und in Architekturmagazinen. Die beklagte Architektenfirma stellte das Projekt dabei so dar, als habe sie selbst die maßgebliche Umgestaltung vorgenommen.

Innenraumgestaltung als schutzfähiges Werk der Baukunst

Das Gericht betonte, dass auch eine Innenraumgestaltung urheberrechtlich geschützt sein kann. Entscheidend ist, dass die Gestaltung über reine Fachplanung hinausgeht und eine persönliche, kreative Entscheidung erkennen lässt.

Im vorliegenden Fall hatte das klagende Architekturbüro nach Überzeugung des Gerichts eine eigenständige, gestalterische Gesamtplanung vorgelegt – etwa durch die Kombination aus Sichtbeton, Treppenanlage und Galerie – und damit ein schutzfähiges Werk der Baukunst geschaffen.
Für die Außenansicht wurde der Urheberrechtsschutz dagegen verneint, weil sie im Wesentlichen aus denkmalrechtlichen Vorgaben resultierte und keinen eigenständigen schöpferischen Charakter hatte.

Damit stellt das Urteil klar:

  • Urheberrechtsschutz setzt keine spektakuläre Außenwirkung voraus.
  • Auch die Innenraumplanung kann bei hinreichender Individualität ein Werk im Sinne des Urheberrechts darstellen.
  • Der Denkmalschutz kann den kreativen Handlungsspielraum des Architekten erheblich einschränken und die Schutzfähigkeit mindern.

Veröffentlichung ohne Zustimmung verletzt Verwertungsrechte

Die Beklagte hatte die Innenraumfotos ohne Genehmigung online gestellt und zum Teil als Eigenleistung ausgegeben. Das LG Köln bejahte hier eine Verletzung des Rechts auf öffentliche Zugänglichmachung (§ 19a UrhG). Eine bloße Nennung der Urheber hätte die Rechtsverletzung nicht beseitigt.

Die von der Beklagten in der Verhandlung angebotene Unterlassungserklärung war nach Auffassung des Gerichts unzureichend, da sie lediglich auf die Benennung der Architekten abzielte, nicht aber die Nutzung der Fotos selbst untersagte.

Kein Anspruch auf Gegendarstellung

Ein zentraler Streitpunkt war der Anspruch der klagenden Architekten, die Beklagte zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung zu verpflichten.
Hier hat das LG Köln dem Begehren jedoch eine klare Absage erteilt:

Gegendarstellungen sind vor allem presserechtliche Instrumente, nicht aber Bestandteil des Urheberrechts.

  • Das Urheberpersönlichkeitsrecht vermittelt primär einen Anspruch auf Urheberbenennung (§ 13 UrhG), nicht aber auf eine öffentlichkeitswirksame Gegendarstellung.
  • Die geforderte Gegendarstellung sei auch nicht geeignet, eine Rechtsverletzung dauerhaft zu beseitigen, da der Unterlassungsanspruch im Vordergrund stehe.

Das Urteil verdeutlicht damit die Grenzen urheberrechtlicher Ansprüche auf „Wiederherstellung der Ehre“. Wer als Architekt sein Werk nicht nur geschützt, sondern auch öffentlich richtig dargestellt sehen möchte, muss regelmäßig den Unterlassungs- und Benennungsanspruch geltend machen.

Schadensersatz nicht nach HOAI bemessen

Interessant ist zudem die Einschätzung des Gerichts zur Schadenshöhe:
Ein Lizenzanaloger Schadensersatz kann zwar beansprucht werden, jedoch nicht auf Basis der Honorarordnung für Architekten (HOAI). Diese regelt lediglich die Vergütung der Planungsleistung, nicht die Nutzung von Fotografien fertiger Werke. Das Gericht schätzte den Schadensersatz hier auf 10.000 €.


Gericht: Landgericht Köln
Datum der Entscheidung: 04.10.2024
Aktenzeichen: 14 O 145/23
Fundstelle: GRUR-RR 2025, 279

Vollständige Namensnennung einer Richterin in kritischem Sachbuch zulässig – OLG Frankfurt bestätigt Pressefreiheit

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat mit Urteil vom 8. Mai 2025, AZ: 16 U 11/23, entschieden, dass die namentliche Nennung einer Richterin in einem Buch über Missstände in der Justiz zulässig ist. Die Klägerin, eine Vorsitzende Richterin, hatte gegen den Verlag auf Unterlassung geklagt, weil ihr Name im Zusammenhang mit einem Strafverfahren genannt wurde, das im Buch kritisch beleuchtet wird.

Worum ging es?

Die Richterin hatte ein bedeutendes Strafverfahren geleitet, das im Buch als Beispiel für strukturelle Defizite in der Justiz dient. Dort wird sie mit einem Zitat aus ihrer Urteilsbegründung wiedergegeben. Der Titel des Buches und seine Kapitelüberschriften lassen einen Bezug zu „rechten Richtern“ erkennen, auch wenn die Klägerin im Text nicht ausdrücklich so bezeichnet wird. Sie sah sich dennoch durch die Namensnennung in ein negatives Licht gerückt und machte eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts geltend.

Entscheidung des Gerichts

Das OLG Frankfurt wies die Berufung zurück – mit folgenden zentralen Begründungen:

  1. Zulässige Namensnennung bei amtlicher Tätigkeit: Wer als Richterin öffentlich ein Verfahren leitet, muss damit rechnen, dass Name und Wirken auch in der Presse aufgegriffen werden. Die Namensnennung stellt zwar einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar, ist aber durch das Interesse der Öffentlichkeit gedeckt.
  2. Verfassungsrechtlich geschütztes Öffentlichkeitsprinzip: Das Gericht verweist ausdrücklich auf die „normative Stoßrichtung“ des in § 169 GVG verankerten Öffentlichkeitsgrundsatzes: Dieser soll nicht nur Transparenz schaffen, sondern auch personelle Verantwortlichkeiten sichtbar machen. Dies gilt insbesondere für Vorsitzende Richter, die Urteile verkünden und Verfahren öffentlich führen.
  3. Keine Prangerwirkung oder falsche Tatsachen: Die Darstellung der Klägerin sei sachlich, ihre zitierte Äußerung korrekt wiedergegeben. Sie werde nicht als „rechte Richterin“ diffamiert, sondern lediglich im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit einem konkreten Verfahren erwähnt.
  4. Kein überwiegendes Persönlichkeitsinteresse: Weder wurde eine konkrete Gefährdungslage dargelegt, noch liegt eine Rufschädigung vor. Die Klägerin muss sich daher die Berichterstattung über ihre amtliche Tätigkeit gefallen lassen – auch in Form eines Buches, das dauerhaft veröffentlicht wird.
  5. Pressefreiheit überwiegt: Die Presse darf selbst entscheiden, welche Informationen sie für berichtenswert hält. Eine gerichtliche „Bedürfnisprüfung“, ob die Namensnennung wirklich erforderlich war, findet nicht statt.

Was bedeutet das für die Praxis?

Das Urteil betont, dass Mitglieder der Justiz – insbesondere Richterinnen und Richter – im Rahmen ihrer öffentlichen Funktion einer kritischen Berichterstattung nicht ausweichen können. Das Interesse der Öffentlichkeit an einer transparenten Justiz wiegt in der Regel schwerer als das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen. Auch eine dauerhafte Publikation in Buchform ändert daran nichts.

Fazit

Das OLG Frankfurt stellt klar: Wer öffentlich in gerichtlichen Verfahren agiert, muss auch mit einer namentlichen Nennung in der öffentlichen Diskussion rechnen – vorausgesetzt, die Berichterstattung ist sachlich korrekt. Der Schutz der Pressefreiheit und das öffentliche Interesse an der Kontrolle staatlichen Handelns haben in diesem Fall Vorrang.

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt am Main
Entscheidungsdatum: 8. Mai 2025
Aktenzeichen: 16 U 11/23
Vorinstanz: Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 15.12.2022 – 2-03 O 60/22
Zitierung: GRUR-RS 2025, 9439

Veröffentlichung von Gerichtsurteilen mit Klarnamen: Kein Anspruch auf Unterlassung oder Schadensersatz

Ein Rechtsanwalt klagte gegen die Betreiberin der juristischen Datenbank „openJur“, weil diese einen verwaltungsgerichtlichen Beschluss unter Nennung seines Klarnamens veröffentlicht hatte. Das Landgericht Hamburg wies die Klage in vollem Umfang ab und stellte fest: Die Veröffentlichung war zulässig – trotz der enthaltenen sensiblen persönlichen Informationen.

Der Kläger hatte in einem verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin gegen das Versorgungswerk der Rechtsanwälte geklagt. Der dortige Beschluss vom 5. Mai 2022, der unter anderem seine frühere Arbeitslosigkeit und Zahlungsrückstände offenlegte, wurde von openJur automatisiert aus der Berliner Landesdatenbank übernommen – einschließlich seines Namens. Der Kläger beantragte in der Folge, die Beklagte solle es unterlassen, personenbezogene Daten des Klägers in Zusammenhang mit diesem Beschluss zu veröffentlichen oder öffentlich verfügbar zu halten, mindestens 5.500 € Schmerzensgeld zahlen sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten erstatten.

Das Landgericht Hamburg wies alle Klageanträge zurück. Die Veröffentlichung unterfalle nach Auffassung des Gerichts der journalistischen Bereichsausnahme des Art. 85 DSGVO. Diese erlaubt Abweichungen von Datenschutzvorgaben, wenn die Datenverarbeitung journalistischen Zwecken dient. Die Tätigkeit von openJur – einschließlich redaktioneller Auswahl, Schlagwortvergabe und Hervorhebungen – erfülle diese Voraussetzungen. Deshalb sei Art. 17 DSGVO hier nicht anwendbar. Zwar beeinträchtige die Namensnennung das Persönlichkeitsrecht des Klägers, jedoch sei die Veröffentlichung gerechtfertigt. Das Gericht betonte, dass der Kläger selbst das Verfahren initiiert und die zugrundeliegenden Informationen öffentlich gemacht habe. Zudem habe openJur auf eine Veröffentlichung der Berliner Justiz vertraut, einer „privilegierten Quelle“, der ein gesteigertes Vertrauen zukomme.

Auch nach nationalem Recht stehe dem Kläger kein Schadensersatz zu. Die Verarbeitung sei gerechtfertigt und nicht schuldhaft erfolgt. Selbst ein Kontrollverlust über persönliche Daten begründe in diesem Fall keinen ersatzfähigen Schaden. Da die Hauptansprüche unbegründet waren, scheiterte auch der Anspruch auf Erstattung der Anwaltskosten. Die (letztlich erfüllte) Auskunft nach Art. 15 DSGVO sei zwar verspätet gewesen, habe aber keinen eigenständigen Schaden verursacht.

Das Urteil stärkt die Position gemeinnütziger Rechtsprechungsdatenbanken und stellt klar: Solange journalistische Standards gewahrt bleiben und Veröffentlichungen auf offiziellen Quellen beruhen, sind auch personenbezogene Informationen – einschließlich Klarnamen – rechtlich geschützt. Es handelt sich um eine erfreuliche Entscheidung, die zur Rechtssicherheit beiträgt und die Bedeutung des freien Zugangs zu Gerichtsentscheidungen unterstreicht – und hoffentlich auch in höheren Instanzen Bestand haben wird.

LG Hamburg, Urteil vom 09.05.2025 – 324 O 278/23
Fundstelle: openJur 2025, 12723 (nicht rechtskräftig)