Kammergericht Berlin: Doch keine zwingende Nutzung von Meldeformularen von Online-Plattformen

Der Digital Services Act (DSA) hat für Online-Plattformen und ihre Nutzer zahlreiche neue Regeln gebracht. Ein zentraler Punkt ist die Meldung rechtswidriger Inhalte, etwa bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, Urheberrechtsverletzungen oder Markenrechtsverstößen. Das Kammergericht Berlin hat in einem wegweisenden Beschluss klargestellt, dass die Nutzung des von den Plattformen bereitgestellten Meldeverfahrens für Nutzer nicht zwingend ist, um ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen. Dies ist eine wichtige Entscheidung, die vor allem für Unternehmer von großer Bedeutung ist.

Der Fall: E-Mail statt Meldeformular

Das Landgericht Berlin argumentierte, dass nach den neuen DSA-Regeln die erforderliche Kenntnis des Plattformbetreibers nur dann als gegeben gilt, wenn der Betroffene das vorgesehene elektronische Meldeverfahren nutzt. Eine formlose Mitteilung per E-Mail sei unzureichend, selbst wenn sie den Verstoß klar benenne.

Bereits am 14. August 2025 haben wir in einem Blogbeitrag über die Entscheidung des Landgerichts Berlin berichtet, das in einem Eilverfahren den Antrag eines Nutzers auf Entfernung von Inhalten zunächst abgewiesen hatte. Die Antragstellerin hatte die Plattform nicht über das offizielle, vom Anbieter eingerichtete Melde- und Abhilfeverfahren kontaktiert, sondern die Rechtsverletzung auf anderem Weg, nämlich durch ein anwaltliches Schreiben per E-Mail, gemeldet.

Die Entscheidung des Kammergerichts Berlin

Das Kammergericht Berlin sah das anders und hob die Entscheidung des Landgerichts auf. In seinem Beschluss vom 25. August 2025 stellte es klar, dass es für die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen keinen Zwang gibt, das Meldeverfahren der Online-Plattform zu nutzen.

Entscheidend sei nicht der Weg der Übermittlung, sondern der Inhalt der Meldung. Eine Plattform erlange auch dann Kenntnis von einer Rechtsverletzung, wenn die Informationen auf anderem Wege – etwa per anwaltlichem Schriftsatz oder E-Mail – übermittelt werden, sofern die Meldung ausreichend präzise und begründet ist. Die vom DSA vorgesehenen Melde- und Abhilfeverfahren sollen den Nutzern lediglich eine einfache Möglichkeit zur Meldung bieten, schränken aber keineswegs ihre sonstigen Rechte und Wege ein.

Das Gericht betonte, dass der europäische Gesetzgeber die Rechte der Verbraucher und Nutzer nicht unnötig einschränken will. Zwar greife die gesetzliche Vermutung der Kenntnis nur bei der Nutzung des offiziellen Meldeverfahrens. Jedoch bedeutet das nicht, dass andere Wege gänzlich ungeeignet wären. Wer auf anderem Wege die Plattform in Kenntnis setzt, trägt allerdings das Risiko, dass die Meldung nicht alle für die Plattform notwendigen Informationen enthält. Dennoch ist der Weg offen.

Fazit für Unternehmen

Diese Entscheidung ist ein wichtiges Signal für alle, die im digitalen Raum aktiv sind. Als Unternehmer sind Sie oft mit Rechtsverletzungen wie falschen Bewertungen, Markenpiraterie oder unerlaubten Foto-Veröffentlichungen konfrontiert. Das Urteil des Kammergerichts Berlin stärkt Ihre Position, da Sie nicht ausschließlich auf die internen, oft umständlichen Meldesysteme von Plattformen angewiesen sind.

Sie können auch weiterhin den Weg über einen Anwalt wählen, der eine Plattform direkt und wirksam in Kenntnis setzt. Das Gericht stellt damit klar, dass die rechtliche Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen nicht an einem Formular scheitern darf.


Gericht: KG Berlin 10. Zivilsenat
Datum: 25. August 2025
Aktenzeichen: 10 W 70/25

LG Berlin: Keine Unterlassung ohne formgerechte Meldung nach dem Digital Services Act

Das Landgericht Berlin (AZ: 27 O 262/25 eV) hat in einem aktuellen Beschluss klargestellt, dass Betreiber gastronomischer Einrichtungen gegen negative Online-Bewertungen nur dann wirksam vorgehen können, wenn sie bei Meldung der Rechtsverletzung das vom Plattformbetreiber eingerichtete Melde- und Abhilfeverfahren nach Art. 16 DSA (Digital Services Act) nutzen. Formlose Mitteilungen – etwa per E-Mail oder Telefon – genügen nicht.

Der Fall

Eine Gastronomin wollte einer Plattform untersagen lassen, bestimmte „Sterne-Bewertungen“ ihres Restaurants zu veröffentlichen. Sie machte geltend, die Bewertungen seien rufschädigend. Die Plattformbetreiberin, ein Hostingdienstleister, hatte dafür ein spezielles Online-Formular eingerichtet.

Die Antragstellerin nutzte dieses Verfahren jedoch nicht, sondern informierte die Plattform formlos. Sie beantragte daraufhin beim Landgericht eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung.

Die Entscheidung

Das LG Berlin wies den Antrag zurück – sowohl aus formellen als auch aus materiellen Gründen.

  1. Zuständigkeit und Streitwert
    • Für Unterlassungsansprüche ist bei einem Streitwert von maximal 5.000 € das Amtsgericht zuständig.
    • Der Streitwert bemisst sich nach den wirtschaftlichen oder immateriellen Folgen der beanstandeten Bewertung.
    • Da die Antragstellerin keine konkreten Beeinträchtigungen ihres Umsatzes oder Images darlegte, setzte das Gericht den Wert unter 5.000 € an.
  2. Kein Unterlassungsanspruch
    • Ein Hostprovider haftet erst, wenn er in zumutbarer Weise von einer Rechtsverletzung Kenntnis erlangt.
    • Nach Art. 16 Abs. 3 DSA liegt eine solche Kenntnis nur vor, wenn der Betroffene die Meldung über das dafür vorgesehene Verfahren einreicht.
    • Formlose Mitteilungen sind unzureichend – selbst dann, wenn sie den beanstandeten Inhalt klar benennen.
    • Die Plattform hatte ihr Verfahren leicht zugänglich gestaltet (Impressum, direkter Link, Melde-Button neben der Bewertung).
    • Die Nutzung war der Antragstellerin zumutbar.

Praktische Konsequenzen für Unternehmer

  • Form beachten: Bei Rechtsverletzungen auf Plattformen muss stets das offizielle Meldesystem nach DSA genutzt werden.
  • Substantiiert vortragen: Wer vor Gericht geht, muss konkrete wirtschaftliche oder immaterielle Schäden darlegen.
  • Gastronomie besonders betroffen: Sternebewertungen werden als subjektive Meinungsäußerungen gewertet – die Eingriffsintensität ins Unternehmenspersönlichkeitsrecht ist oft gering.

Fazit

Das Urteil verdeutlicht, dass der DSA nicht nur Pflichten für Plattformbetreiber, sondern auch formale Hürden für Betroffene schafft. Wer diese nicht einhält, riskiert, dass selbst berechtigte Unterlassungsanträge scheitern.


Gericht: LG Berlin II
Datum: 07.08.2025
Az.: 27 O 262/25 eV
Fundstelle: BeckRS 2025, 19579

OLG Bamberg: Unzulässige Gestaltung der Ticketversicherung auf eventim.de – Dark Pattern verletzt Verbraucherrechte

Das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg hat mit Urteil vom 5. Februar 2025 einer Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) gegen die Ticketplattform CTS Eventim teilweise stattgegeben. Es ging um die visuelle und funktionale Gestaltung des Angebots einer kostenpflichtigen Ticketversicherung im Bestellprozess auf eventim.de. Nach Ansicht des Gerichts verstößt die Plattform mit ihrer sogenannten „Empfehlungsseite“ gegen Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) in Verbindung mit der europäischen Verordnung über digitale Dienste (DSA).​ Gegenstand des Verfahrens waren u.a. sog. Dark Patterns.

Was sind „Dark Patterns“?

„Dark Patterns“ sind Gestaltungsmuster in Benutzeroberflächen, die gezielt darauf ausgelegt sind, Nutzer zu bestimmten Entscheidungen zu drängen – meist zugunsten des Unternehmens. Typische Beispiele sind:

  • Nagging: wiederholte Aufforderungen zur Entscheidung, obwohl der Nutzer bereits eine Auswahl getroffen hat.
  • Framing: visuelle Hervorhebungen oder suggestive Formulierungen, die eine Option attraktiver erscheinen lassen als andere.
  • Trickfragen oder versteckte Kosten: verwirrende Formulierungen oder Zusatzangebote, die schwer zu erkennen oder zu umgehen sind.

Solche Praktiken beeinträchtigen die Fähigkeit der Nutzer, freie und informierte Entscheidungen zu treffen. Der Digital Services Act (DSA) verbietet bestimmte Dark Patterns ausdrücklich, um Verbraucher besser zu schützen.

Hintergrund des Falls: Die Gestaltung der Ticketversicherung

Eventim bietet beim Ticketkauf optional eine Ticketversicherung an. Diese wird in einer farblich hervorgehobenen Weise präsentiert. Wird sie nicht ausgewählt, erscheint beim Weiterklicken zur Kasse ein zusätzliches Fenster („Empfehlungsseite“), in dem die Nutzer erneut zur Entscheidung über die Versicherung aufgefordert werden. Dabei ist der Button zur Ablehnung mit „Ich trage das volle Risiko“ beschriftet.​

Die Klage des vzbv

Der vzbv beantragte, Eventim die konkrete Gestaltung der Versicherungsoption zu untersagen, da diese gegen Art. 25 der DSA verstoße. Im Detail kritisierte er zwei Punkte:​

  1. Die farbliche Hervorhebung der Versicherungsoption auf der Bestellseite.​
  2. Die wiederholte Aufforderung zur Auswahl der Ticketversicherung auf der „Empfehlungsseite“, insbesondere in Kombination mit der suggestiven Button-Beschriftung.​

Das Urteil im Detail

Das OLG Bamberg gab der Klage nur teilweise statt:​

  • Antrag zur Bestellseite: Abgewiesen. Zwar liege ein „Framing“ im Sinne der DSA vor – also eine unneutrale Präsentation –, jedoch sei die Schwelle einer „maßgeblichen Beeinträchtigung“ der Entscheidungsfreiheit nicht überschritten. Ein durchschnittlicher, informierter Nutzer könne erkennen, dass es sich um ein freiwilliges Zusatzangebot handelt.​
  • Antrag zur Empfehlungsseite: Stattgegeben. Das Gericht sah hier ein sogenanntes „Dark Pattern“ im Sinne von Art. 25 Abs. 3 lit. b) DSA – konkret ein „Nagging“: Die Nutzer werden erneut zur Entscheidung aufgefordert, obwohl sie bereits keine Versicherung gewählt hatten. In Kombination mit der Angabe „Ich trage das volle Risiko“ entsteht ein bedrohliches Szenario, das die Entscheidungsfreiheit unzulässig beeinflusst. Dieses Vorgehen sei auch nach §§ 3 Abs. 2, 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UWG unzulässig.​

Bedeutung für die Praxis

Das Urteil zeigt deutlich: Anbieter von Online-Diensten müssen bei der Gestaltung ihrer Nutzeroberflächen auf Neutralität achten. Wiederholte Nachfragen oder suggestive Formulierungen können unzulässig sein, wenn sie die Entscheidungsfreiheit der Nutzer spürbar beeinträchtigen. Die Entscheidung stellt ein wichtiges Signal für die Anwendung des Digital Services Act dar und konkretisiert die Anforderungen an sogenannte Dark Patterns.​