Urteil: Keine unverpixelte Fotoveröffentlichung eines Angeklagten der „Gruppe Reuß“

Das Landgericht Karlsruhe hat am 9. Oktober 2024 (AZ: 22 O 6/24) eine wichtige Entscheidung zum Persönlichkeitsschutz gefällt. Konkret ging es um die Frage, ob ein bundesweit ausgestrahlter TV-Sender ein unverpixeltes Porträtfoto eines Angeklagten im Verfahren gegen die sogenannte „Gruppe Reuß“ zeigen durfte.

Hintergrund des Falls

Der Angeklagte war einer von mehreren Personen, denen die Beteiligung an einem versuchten Umsturz und die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird. Der Sender hatte in einer Nachrichtensendung über den Prozessauftakt berichtet und dabei ein Polizeifoto des Mannes ohne seine Einwilligung gezeigt. Dieses Foto stammte aus der Ermittlungsakte und wurde dem Sender offenbar zugespielt.

Der Betroffene hielt dies für eine Verletzung seines Rechts am eigenen Bild und klagte auf Unterlassung.

Das Gericht: Unverpixelte Abbildung ist rechtswidrig

Das Landgericht gab dem Kläger recht und verbot dem Sender, das Bild weiter zu verwenden. Dabei stützte es sich insbesondere auf folgende Erwägungen:

  • Recht auf Unschuldsvermutung: Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt jeder Angeklagte als unschuldig. Die Veröffentlichung eines identifizierenden Fotos kann diesen Grundsatz im öffentlichen Bewusstsein unterlaufen, da der Betrachter den Eindruck gewinnen könnte, es handele sich bereits um einen verurteilten Straftäter.
  • Keine absolute Vorrangstellung der Pressefreiheit: Auch wenn die Vorwürfe ein außergewöhnliches öffentliches Interesse rechtfertigen, darf dies nicht dazu führen, dass der Persönlichkeitsschutz vollständig verdrängt wird. Das Gericht stellte klar: Es gibt kein Ereignis, das allein wegen seiner Bedeutung automatisch das Persönlichkeitsrecht bricht.
  • Gefahr der Stigmatisierung: Gerade bei Fernsehberichterstattung entfaltet ein Bild eine hohe Wirkung. Die Kombination aus Ton, Bild und der leichten Auffindbarkeit in Mediatheken erhöht die Reichweite und den Eingriff in die Persönlichkeitsrechte erheblich.
  • Herkunft des Bildes: Das Foto stammte aus der Ermittlungsakte. Der Angeklagte konnte daher nicht damit rechnen, dass es veröffentlicht würde. Er hatte sich selbst nicht öffentlich exponiert.

Abwägung im Einzelfall

Das Gericht wog das öffentliche Informationsinteresse gegen das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ab. Zwar dürfen Medien grundsätzlich über Angeklagte berichten – auch mit Namen. Aber solange kein Schuldspruch vorliegt, muss bei der Abbildung besonderer Zurückhaltung gewahrt werden. Nach Auffassung des Gerichts wäre hier zumindest eine Verpixelung erforderlich gewesen.

Bedeutung für Medien und Betroffene

Dieses Urteil zeigt klar: Selbst bei spektakulären Strafverfahren bleibt das Persönlichkeitsrecht ein hohes Gut. Medien müssen sorgfältig prüfen, ob eine unverpixelte Darstellung wirklich notwendig und verhältnismäßig ist. Unternehmen und Personen, die in Strafverfahren geraten, können sich jedenfalls auf ein erhebliches Schutzinteresse berufen, solange keine Verurteilung erfolgt ist.


Gericht: Landgericht Karlsruhe
Datum der Entscheidung: 9. Oktober 2024
Aktenzeichen: 22 O 6/24
Fundstelle: ZUM-RD 2025, 334

Fotoveröffentlichung bei Demonstrationen gestattet – OLG Nürnberg stärkt Pressefreiheit

Ausgangslage & Sachverhalt

Ein Foto, aufgenommen im Oktober 2022 auf einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen, zeigt den Kläger inmitten einer kapellenartigen Kundgebung mit Skelettsymbolik und plakativen Slogans („Die Impfung wirkt! TODSICHER“). Die Aufnahme wurde etwa fünf Monate später in einem Online-Artikel zur gesellschaftlichen Debatte über Corona-Maßnahmen verwendet. Der Kläger klagte – das Landgericht wies diese ab; das OLG Nürnberg, Beschluss vom 4.11.2024 (AZ: 3 U 1585/24), bestätigte diese Entscheidung.

Rechtliche Basis & Prüfungsmaßstab

Nach §§ 22, 23 KunstUrhebergesetz (KUG) ist die Veröffentlichung von Bildnissen bei Versammlungen im zeitgeschichtlichen Kontext zulässig, sofern kein berechtigtes Interesse der abgebildeten Person verletzt wird:

  • § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG erlaubt Fotos von öffentlichen Versammlungen – hierzu zählen auch Demonstrationen.
  • § 23 Abs. 2 KUG wiederum schränkt ein, wenn die Abbildung entstellt oder aus ihrem Kontext gerissen ist. In diesem Fall ist ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt.

Das OLG stellte in seinem Beschluss klar:

  1. Auf Demonstrationen ist ein breites Interesse der Öffentlichkeit gerechtfertigt.
  2. Der Kläger wurde nicht isoliert oder entstellt präsentiert, sondern als Teil eines repäsentativen Bildausschnitts.
  3. Die Veröffentlichung erfolgte in einem gesellschaftlich relevanten und redaktionell integrierten Kontext, ohne tendenziöse Ausgestaltung des Bildnutzens.

Kernaussage des Gerichts

Die Veröffentlichung war insgesamt rechtmäßig:

  • Die Demonstration war zeitgeschichtliches Ereignis.
  • Der Bildausschnitt war journalistisch angemessen und nicht vereinzelt auf die Person gerichtet.
  • Kein entschädigungswürdiges Persönlichkeitsrechtsinteresse lag vor.

Praxisrelevanz für Medien & Fotografen

  1. Demonstrationen = Versammlungen: möglichst breit dokumentieren – erlaubt nach KUG.
  2. Kontextbezug essentiell: journalistisch eingebettete Berichterstattung ist entscheidend.
  3. Keine Einzelstellung: Betroffene dürfen nicht isoliert hervorgehoben werden.
  4. Priorität des Informationsinteresses: gesellschaftlicher Diskurs über Corona-Maßnahmen rechtfertigt Bildnutzung.

Fazit & Handlungsempfehlung

Für redaktionelle Medien ist das Urteil ein klares Signal:

  • Bildaufnahmen bei öffentlichen Kundgebungen sind in den meisten Fällen zulässig.
  • Entscheidend bleibt die kontextgerechte Nutzung – keinen Fokus auf Einzelpersonen, keine Entstellung und eindeutiger zeitgeschichtlicher Bezug.
  • Wer solche Fotos nutzt, sollte ein kurzes juristisches Faktencheck-Label im Impressum oder Bildnachweis beifügen, um eigene Rechtsrisiken niedrig zu halten.

Das OLG Nürnberg liefert klare Leitlinien für den Umgang mit Fotos von Demonstrationen in redaktionellen Medien und stärkt das Recht auf Berichterstattung im öffentlichen Interesse.

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Datum: 4. November 2024
Aktenzeichen: 3 U 1585/24
Fundstelle: ZUM-RD 2025, 323

Vollständige Namensnennung einer Richterin in kritischem Sachbuch zulässig – OLG Frankfurt bestätigt Pressefreiheit

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat mit Urteil vom 8. Mai 2025, AZ: 16 U 11/23, entschieden, dass die namentliche Nennung einer Richterin in einem Buch über Missstände in der Justiz zulässig ist. Die Klägerin, eine Vorsitzende Richterin, hatte gegen den Verlag auf Unterlassung geklagt, weil ihr Name im Zusammenhang mit einem Strafverfahren genannt wurde, das im Buch kritisch beleuchtet wird.

Worum ging es?

Die Richterin hatte ein bedeutendes Strafverfahren geleitet, das im Buch als Beispiel für strukturelle Defizite in der Justiz dient. Dort wird sie mit einem Zitat aus ihrer Urteilsbegründung wiedergegeben. Der Titel des Buches und seine Kapitelüberschriften lassen einen Bezug zu „rechten Richtern“ erkennen, auch wenn die Klägerin im Text nicht ausdrücklich so bezeichnet wird. Sie sah sich dennoch durch die Namensnennung in ein negatives Licht gerückt und machte eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts geltend.

Entscheidung des Gerichts

Das OLG Frankfurt wies die Berufung zurück – mit folgenden zentralen Begründungen:

  1. Zulässige Namensnennung bei amtlicher Tätigkeit: Wer als Richterin öffentlich ein Verfahren leitet, muss damit rechnen, dass Name und Wirken auch in der Presse aufgegriffen werden. Die Namensnennung stellt zwar einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar, ist aber durch das Interesse der Öffentlichkeit gedeckt.
  2. Verfassungsrechtlich geschütztes Öffentlichkeitsprinzip: Das Gericht verweist ausdrücklich auf die „normative Stoßrichtung“ des in § 169 GVG verankerten Öffentlichkeitsgrundsatzes: Dieser soll nicht nur Transparenz schaffen, sondern auch personelle Verantwortlichkeiten sichtbar machen. Dies gilt insbesondere für Vorsitzende Richter, die Urteile verkünden und Verfahren öffentlich führen.
  3. Keine Prangerwirkung oder falsche Tatsachen: Die Darstellung der Klägerin sei sachlich, ihre zitierte Äußerung korrekt wiedergegeben. Sie werde nicht als „rechte Richterin“ diffamiert, sondern lediglich im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit einem konkreten Verfahren erwähnt.
  4. Kein überwiegendes Persönlichkeitsinteresse: Weder wurde eine konkrete Gefährdungslage dargelegt, noch liegt eine Rufschädigung vor. Die Klägerin muss sich daher die Berichterstattung über ihre amtliche Tätigkeit gefallen lassen – auch in Form eines Buches, das dauerhaft veröffentlicht wird.
  5. Pressefreiheit überwiegt: Die Presse darf selbst entscheiden, welche Informationen sie für berichtenswert hält. Eine gerichtliche „Bedürfnisprüfung“, ob die Namensnennung wirklich erforderlich war, findet nicht statt.

Was bedeutet das für die Praxis?

Das Urteil betont, dass Mitglieder der Justiz – insbesondere Richterinnen und Richter – im Rahmen ihrer öffentlichen Funktion einer kritischen Berichterstattung nicht ausweichen können. Das Interesse der Öffentlichkeit an einer transparenten Justiz wiegt in der Regel schwerer als das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen. Auch eine dauerhafte Publikation in Buchform ändert daran nichts.

Fazit

Das OLG Frankfurt stellt klar: Wer öffentlich in gerichtlichen Verfahren agiert, muss auch mit einer namentlichen Nennung in der öffentlichen Diskussion rechnen – vorausgesetzt, die Berichterstattung ist sachlich korrekt. Der Schutz der Pressefreiheit und das öffentliche Interesse an der Kontrolle staatlichen Handelns haben in diesem Fall Vorrang.

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt am Main
Entscheidungsdatum: 8. Mai 2025
Aktenzeichen: 16 U 11/23
Vorinstanz: Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 15.12.2022 – 2-03 O 60/22
Zitierung: GRUR-RS 2025, 9439

OLG Frankfurt: Plattformen müssen sinngleiche Deepfake-Inhalte eigenständig entfernen

Der bekannte Arzt und Fernsehmoderator Eckart von Hirschhausen sah sich durch Deepfake-Videos auf der Social-Media-Plattform Facebook in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt. In den Videos wurde unter Verwendung seines Namens, Bildnisses und einer nachgeahmten Stimme der Eindruck erweckt, er bewerbe Produkte zur Gewichtsabnahme. Nachdem Meta, der Betreiber von Facebook, ein erstes Video nach Hinweis entfernte, blieb ein weiteres, nahezu identisches Video zunächst online. Von Hirschhausen beantragte daraufhin im Wege der einstweiligen Verfügung die Unterlassung der Verbreitung solcher Inhalte.

Die Anträge und die Entscheidung des Gerichts

Der Antragsteller begehrte die Unterlassung der Verbreitung sämtlicher Inhalte, in denen unter Verwendung seines Namens, Bildnisses und seiner Stimme der Eindruck erweckt werde, er bewerbe Mittel zur Gewichtsabnahme.

Das OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. März 2025, Az. 16 W 10/25, gab dem Antrag teilweise statt:

Untersagt wurde die Verbreitung eines konkreten Videos (Video 2), das rechtswidrig den Eindruck vermittelte, der Antragsteller werbe für Diätprodukte – unter Verwendung seines Namens, Bildnisses und seiner Stimme.

Nicht untersagt wurde die Verbreitung eines weiteren Videos (Video 1), da es sich nicht um einen sinngleichen Inhalt im Verhältnis zu früher beanstandeten Beiträgen handelte.

Abgewiesen wurde der Antrag insoweit, als der Eindruck nur durch einzelne der genannten Merkmale (etwa nur Bild oder Stimme) erweckt wurde. Das Gericht argumentierte, dass solche Fälle für den durchschnittlichen Nutzer als Deepfake erkennbar sein könnten.

Wesentliche rechtliche Erwägungen

Das OLG Frankfurt stellte klar, dass Hostprovider wie Meta nach einem konkreten Hinweis auf einen rechtsverletzenden Inhalt verpflichtet sind, nicht nur diesen zu entfernen, sondern auch eigenständig nach sinngleichen Inhalten zu suchen und diese zu sperren. Sinngleiche Inhalte sind solche, die trotz abweichender äußerlicher Gestaltung (z. B. andere Auflösung, Farbfilter, Zuschnitt, typografische Anpassungen oder zusätzliche Bildunterschriften) im Aussagegehalt identisch bleiben.

Das Gericht betonte, dass es Meta technisch möglich und zumutbar sei, solche Inhalte zu identifizieren, insbesondere unter Einsatz von KI. Die Prüfpflicht besteht auch in Bezug auf sinngleiche Inhalte, sobald ein rechtswidriger Ausgangsinhalt mitgeteilt wurde – eine Weiterentwicklung der sogenannten „Kerntheorie“.

Bedeutung der Entscheidung

Mit diesem Beschluss führt das OLG Frankfurt seine Linie aus der „Künast-Meme“-Entscheidung konsequent fort. Die Entscheidung zeigt: Plattformen müssen nicht nur auf konkrete Hinweise reagieren, sondern auch eigenständig tätig werden, wenn Inhalte in Wort und Bild nahezu identisch sind und denselben rechtsverletzenden Eindruck vermitteln.

Keine Geldentschädigung für Zwangsouting – LG Berlin zur Pressefreiheit vs. Persönlichkeitsrecht

Ein Bericht über die angebliche Beziehung eines Geschäftsführers mit einem Kollegen und dessen geplante Beförderung führte zu einem gerichtlichen Streit um Geldentschädigung. Der Kläger sah sich durch die Presseveröffentlichung in unzutreffender Weise geoutet und in seinem beruflichen wie privaten Ansehen geschädigt. Das Landgericht Berlin II, Urteil vom 26.11.2024 – 27 O 507/23 – ZUM-RD 2025, 261 (nicht rechtskräftig), lehnte eine Entschädigung in sechsstelliger Höhe jedoch ab.

Sachverhalt

Ein langjähriges Mitglied der Geschäftsführung eines Unternehmens verklagte ein Online-Medium, das berichtet hatte, er wolle seinen „Lebensgefährten zum Firmenchef machen“. Die Veröffentlichung enthielt Angaben zu einer angeblichen Liebesbeziehung sowie zur (nicht geplanten) Berufung des Partners zum Geschäftsführer.

Der Kläger argumentierte, die Aussagen seien falsch und stellten ein Zwangsouting dar. Zudem werde durch die Kombination beider Aussagen suggeriert, die Personalentscheidung basiere auf der privaten Beziehung – was seinen Ruf beschädige. Er forderte daher mindestens 100.000 Euro Schmerzensgeld sowie Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Landgericht wies die Klage als unbegründet ab:

  • Zulässigkeit bejaht: Das Gericht sah sich örtlich zuständig (§ 32 ZPO) und verwarf die Einwände gegen den sogenannten „fliegenden Gerichtsstand“.
  • Kein Anspruch auf Geldentschädigung: Zwar sei die Offenlegung der sexuellen Orientierung grundsätzlich ein erheblicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht. Doch fehlten konkrete Belege für daraus erwachsene schwerwiegende Nachteile. Der Kläger konnte keine konkreten beruflichen oder privaten Folgen nachweisen, die über allgemeine Unannehmlichkeiten hinausgehen.
  • Ton und Kontext der Berichterstattung: Die Darstellung sei sachlich und nicht herabsetzend erfolgt. Die sexuelle Orientierung war kein zentraler, sondern nur ein Randaspekt. Der Eindruck, der angebliche Partner sei ausschließlich wegen der Beziehung befördert worden, sei nicht entstanden – im Gegenteil, der Artikel würdigte dessen fachliche Qualitäten.
  • Vorbekannte Information: Die sexuelle Orientierung war bereits Teilen des privaten Umfelds bekannt, sodass ein vollständiges „Outing“ durch den Bericht nicht vorlag.
  • Vorliegender Unterlassungstitel: Dass bereits ein Unterlassungstitel gegen die Berichterstattung erwirkt wurde, sprach zusätzlich gegen die Notwendigkeit einer Geldentschädigung.

Fazit für die Praxis

Das Urteil verdeutlicht die hohe Schwelle für Geldentschädigungen bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch die Presse. Unternehmer müssen nicht nur einen Eingriff, sondern auch erhebliche und konkrete negative Folgen belegen. Berichterstattungen, die sachlich und ohne Sensationsgier formuliert sind, genießen unter dem Schutz der Pressefreiheit weiten Raum – selbst wenn sie sensible private Informationen enthalten.

Rufschädigung durch falsche Behauptung im Fernsehen

Das Landgericht Hamburg (Beschluss vom 02.04.2025 – Az. 324 O 134/25) hat in einem einstweiligen Verfügungsverfahren auf Antrag von Sahra Wagenknecht und ihrer Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“ dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) untersagt, eine bestimmte Aussage aus der ARD-Talkshow „Caren Miosga“ weiterhin in der Mediathek verfügbar zu halten. Die Entscheidung hat weitreichende Bedeutung für Persönlichkeitsrechte im Kontext medialer Berichterstattung.

Der Fall: Was war passiert?

In der ARD-Sendung „Caren Miosga“ vom 9. März 2025 behauptete eine Teilnehmerin, Sahra Wagenknecht betreibe einen Telegram-Kanal, über den sie „auf Russisch, eins zu eins an das russische Volk bzw. an Herrn Putin“ ihre Botschaften richte. Diese Äußerung wurde im Rahmen einer politischen Diskussion ab Minute 57:32 der Sendung gemacht und war weiterhin über die ARD-Mediathek abrufbar.

Sahra Wagenknecht sowie ihre Partei sahen hierin eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung und beantragten den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den NDR, gerichtet auf die Unterlassung der weiteren Verbreitung dieser Äußerung.

Die Entscheidung: Unterlassungsanspruch wegen unwahrer Tatsachenbehauptung

Das Landgericht Hamburg folgte dem Antrag in vollem Umfang. Es sah in der streitgegenständlichen Äußerung eine unwahre Tatsachenbehauptung, die geeignet ist, den sozialen Geltungsanspruch der Antragsteller erheblich zu beeinträchtigen.

Die Kammer stellte klar, dass das Persönlichkeitsrecht der Antragsteller sowohl durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG als auch durch § 823 Abs. 1 BGB geschützt ist. Der Umstand, dass die Äußerung durch eine Dritte in einer Live-Sendung getätigt wurde, ändere nichts daran, dass der NDR jedenfalls für die fortgesetzte Verbreitung in der Mediathek verantwortlich sei. Ein medienrechtliches „Archiv-Privileg“ greife hier nicht, insbesondere da der NDR nachweislich Kenntnis von der Unwahrheit der Aussage hatte.

Bedeutung für die Praxis

Der Beschluss betont erneut die Pflichten von Medienanbietern bei der fortgesetzten Bereitstellung von Inhalten über Mediatheken. Zwar können sie für Live-Äußerungen Dritter nicht ohne Weiteres haftbar gemacht werden, sehr wohl aber für deren spätere Verbreitung, wenn sie nachweislich rechtswidrig sind. Für Medienschaffende bedeutet dies eine gesteigerte Prüfungspflicht bei archivierten Sendungen.

BGH-Urteil: Meinungsfreiheit überwiegt bei medienkritischer Äußerung

Ein Journalist veröffentlichte auf einer bekannten Nachrichtenplattform einen Artikel über ein siebenjähriges Mädchen aus Aleppo, das angeblich über Twitter über die Kriegsereignisse berichtete. Ein Blogger kritisierte diesen Bericht scharf auf seiner eigenen Webseite und bezeichnete den Journalisten unter anderem als „Nachrichtenfälscher“ und „Fake-News-Produzent“. Der Journalist und die betreibende Medienplattform sahen darin eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts und klagten auf Unterlassung.

Entscheidungen der Vorinstanzen

Das Landgericht Hamburg und das Oberlandesgericht Hamburg gaben der Klage statt. Sie bewerteten die Äußerungen des Bloggers als unzulässige Tatsachenbehauptungen und untersagten deren weitere Verbreitung.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der BGH hob die Urteile der Vorinstanzen auf und wies die Klage ab. Die Begründung:

  1. Werturteil statt Tatsachenbehauptung: Die Bezeichnungen wie „Nachrichtenfälscher“ und „Fake-News-Produzent“ seien als Werturteile einzustufen, nicht als Tatsachenbehauptungen. Sie stellten eine subjektive Bewertung des Bloggers dar, basierend auf seiner Interpretation des journalistischen Artikels.​
  2. Keine Schmähkritik: Obwohl die Äußerungen polemisch und scharf formuliert seien, überschritten sie nicht die Grenze zur Schmähkritik. Der Blogger setzte sich sachlich mit dem Inhalt des Artikels auseinander und äußerte seine Kritik im Rahmen einer öffentlichen Debatte über Medienberichterstattung im Syrienkrieg.​
  3. Ausreichende Tatsachengrundlage: Der Blogger stützte seine Kritik auf nachvollziehbare Anhaltspunkte, wie etwa Zweifel an der Fähigkeit eines siebenjährigen Mädchens, komplexe englische Tweets zu verfassen. Solche Zweifel wurden auch in anderen Medienberichten thematisiert.​
  4. Abwägung der Grundrechte: Der BGH betonte die Bedeutung der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG. Journalisten und Medienunternehmen müssten sich auch scharfe Kritik gefallen lassen, solange diese auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage beruht und nicht die Grenze zur Schmähkritik überschreitet.​

Bedeutung für die Praxis

Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung der Meinungsfreiheit, insbesondere bei medienkritischen Auseinandersetzungen. Es zeigt, dass auch scharfe und polemische Kritik zulässig sein kann, solange sie auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage basiert und nicht ausschließlich der Diffamierung dient.​

Fazit

Der BGH stärkt mit diesem Urteil die Meinungsfreiheit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht von Medienschaffenden. Selbst drastische Formulierungen können rechtlich zulässig sein, wenn sie auf nachvollziehbaren Argumenten beruhen und im Kontext einer öffentlichen Debatte stehen.

Gericht: Bundesgerichtshof
Entscheidung vom: 10. Dezember 2024
Aktenzeichen: VI ZR 230/23
Fundstelle: GRUR 2025, 598

Kunstfreiheit vs. Persönlichkeitsrecht: OLG Hamburg bestätigt Schutz fiktiver Romanfiguren trotz realer Vorbilder

In einem viel beachteten Beschluss hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 18. März 2025, AZ: 7 W 23/25, BeckRS 2025, 6014068) klargestellt, dass die Kunstfreiheit eines Romans auch dann überwiegen kann, wenn reale Personen als Vorbilder erkennbar sind – solange die Darstellung als fiktional erkennbar bleibt und keine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt.

Der Fall

Ein prominentes Galeristenpaar aus Berlin verlangte im Eilverfahren die Unterlassung der Veröffentlichung des Romans „Innerstädtischer Tod“. Sie sahen sich in den Romanfiguren „Konrad Raspe“ und „Eva-Kristin Raspe“ wiedererkannt und machten eine Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte geltend. Die Figuren wiesen zahlreiche Parallelen zu den Antragstellern auf – unter anderem betreiben beide Paare eine Galerie in einer ehemaligen Kirche, und gegen den Antragsteller zu 1) wurden – wie im Roman – Vorwürfe sexueller Übergriffe öffentlich erhoben.

Die Entscheidung

Das OLG wies die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags auf einstweilige Verfügung zurück. Es bestätigte die Entscheidung des LG Hamburg vom 24. Februar 2025 (Az. 324 O 44/25) und stellte sich auf die Seite der Kunstfreiheit:

  • Erkennbarkeit allein genügt nicht: Auch wenn die Antragsteller als reale Vorbilder identifiziert werden können, führt dies nicht automatisch zu einem Unterlassungsanspruch. Entscheidend sei die Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Kunstfreiheit.
  • Keine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung: Die Romanfiguren seien deutlich fiktionalisiert, wiesen Unterschiede zu den Antragstellern auf (z. B. kein gemeinsames Kind, abweichende Altersstruktur, andere Galeriearchitektur) und seien eingebettet in ein vielschichtiges literarisches Werk mit wechselnden Perspektiven und Themenkomplexen.
  • Fiktionaler Charakter erkennbar: Der Roman erhebe keinen Faktizitätsanspruch, bezeichne sich explizit als fiktiv und enthalte einen „Disclaimer“, der auf die künstlerische Gestaltung verweist. Die Leser würden den Text als literarische Fiktion und nicht als Tatsachenbericht wahrnehmen.
  • Keine Verletzung der Intimsphäre: Selbst die expliziten Szenen – wie eine Affäre zwischen der Romanfigur „Eva-Kristin Raspe“ und einem Künstler – seien klar als Fiktion erkennbar und dienten literarischen Zwecken.

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung stärkt die Kunstfreiheit und gibt Verlagen sowie Autoren mehr Sicherheit im Umgang mit realitätsnahen literarischen Werken. Auch wenn reale Personen als Vorbilder dienen, ist entscheidend, dass das Werk insgesamt als Fiktion erkennbar bleibt und keine schwerwiegende Herabwürdigung oder Bloßstellung erfolgt. Gleichzeitig mahnt das OLG zur sorgfältigen Abwägung im Einzelfall, insbesondere wenn sensible Lebensbereiche wie Sexualität oder Gesundheit betroffen sind.

Die vom Gericht entwickelten Abwägungsgrundsätze gelten nicht nur für Romane, sondern lassen sich grundsätzlich auch auf andere Kunstformen wie Theaterstücke oder Filme übertragen. Entscheidend ist stets, ob ein Werk einen Faktizitätsanspruch erhebt oder sich als Fiktion zu erkennen gibt. Auch bei filmischen Darstellungen, die an reale Ereignisse oder Personen angelehnt sind, ist daher zu prüfen, ob eine ausreichende Verfremdung vorliegt und der fiktionale Charakter deutlich wird.

Boris Becker vs. Oliver Pocher und eine juristische Definition von Satire

Das Landgericht Offenburg hatte über einen Rechtsstreit zwischen Boris Becker und Oliver Pocher zu entscheiden (Urteil vom 15.11.2022, Az.: 2 O 20/21).

In der RTL-Sendung „Pocher – gefährlich ehrlich“ im Oktober 2020 wurde ein Beitrag unter dem Slogan „Make Boris rich again“ ausgestrahlt, in dem zu Spenden für Boris Becker aufgerufen wurde, weil über dessen Vermögen in Großbritannien das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Die eingesammelten „Spenden“ – ein dreistelliger Betrag – sollten Boris Becker übergeben werden, der jedoch die Annahme des Geldes verweigerte.

Oliver Pocher erfand daher einen „Modepreis“, welcher Boris Becker angeblich zukommen sollte. In der Preistrophäe war das gesammelte Bargeld versteckt, so dass bei der Preisübergabe Boris Becker das Geld übergeben werden sollte. Boris Becker wusste nichts davon.

Boris Becker erhob gegen Oliver Pocher vor dem Landgericht Offenburg eine Klage auf Unterlassung, weil er sich durch den Beitrag und insbesondere durch die Täuschung in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt sah.

In der vorgenommenen Abwägung entschied das Landgericht jedoch, dass die Kunst- und Meinungsfreiheit, welche Oliver Pocher für sich in Anspruch nehmen konnte, das Persönlichkeitsrecht von Boris Becker überwiege. Denn bei dem Fernsehbeitrag handle es sich um Satire.

Das Landgericht Offenburg hat dabei die (juristische) Definition von „Satire“ sehr gut herausgearbeitet. In Rdnr. 111 des Urteil heißt es:

Jedoch stellt sich die Täuschung des Klägers hinsichtlich der eigentlichen Hintergründe der Preisverleihung als der satirischen Berichterstattung zuzurechnendes Stilmittel dar. Satire arbeitet mit unterschiedlichen Elementen bzw. Stilfiguren, denen gemein ist, dass sie zu Überzeichnungen und Übertreibungen neigen, die typischerweise zu Lasten desjenigen gehen, der Gegenstand der satirischen Darstellung ist. Neben der Übertreibung (BVerfG, Beschluss vom 03.06.1987 — 1 BvR 313/85, BVerfGE 75, 369-382; BGH, Urteil vom 10.01.2017 – VI ZR 562/15, juris Rn. 14; Staudinger/Hager, BGB, Neubearbeitung 2017, C. Das Persönlichkeitsrecht Rn. C67) und der Zuspitzung (LG München I, Urteil vom 30.10.2015 – 9 O 5780/16, AfP 2016, 89 (91) sind als weitere Stilmittel der Satire die Ironie (OLG Hamm, Urteil vom 04.02.2004 – 3 U 168/03, juris Rn. 30; Härting in: Härting, Internetrecht, 6. Aufl.2017, B. Persönlichkeitsrechte Rn. 472), die Verfremdung bzw. Verzerrung (BVerfG, Beschluss vom 03.06.1987 – 1 BvR 313/85, BVerfGE 75, 369-382; BGH, Urteil vom 10.01.2017 – VI ZR 562/15, juris Rn. 14; Staudinger/Hager, BGB, Neubearbeitung 2017, C. Das Persönlichkeitsrecht Rn. C67), der Spott (OLG Hamm, Urteil vom 04.02.2004, – 3 U 168/03, juris Rn. 30) und schließlich auch der – gegebenenfalls auch bösartige – Scherz (vgl. BGH, Urteil vom 28.07.2016 – I ZR 9/15, juris Rn. 33; BGH, Urteil vom 26.10.2006 – I ZR 182/04, juris Rn. 11; BGH, Urteil vom 03.06.1986 – VI ZR 102/85, juris Rn. 19, 21) anerkannt. Nachdem es der Satire insoweit wesenseigen ist, mit Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen zu arbeiten, werden gerade im Bereich der Satire die Grenzen des guten Geschmacks und des einwandfreien Sprachgebrauchs oftmals überschritten, wobei eine „Niveaukontrolle“ gleichwohl nicht stattfinden darf (BGH, Urteil vom 07.12.1999 – VI ZR 51/99, juris Rn. 43 m.w.N.). Die vorliegende Täuschung des Klägers über die wahren Hintergründe der Preisverleihung ist als Bestandteil der satirischen Berichterstattung anzusehen, hinsichtlich derer sich der Beklagte auf das Grundrecht der Meinungs- und Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG berufen kann.“

Auch sah das Landgericht kein berechtigtes Interesse von Boris Becker verletzt, weswegen die Unterlassungsklage scheiterte.

Keine Persönlichkeitsrechtsverletzung bei sog. Selbstöffnung eines Prominenten

Der BGH musste über einen auf YouTube veröffentlichten Medienbericht über Spekulationen der Presse über eine Beziehung von Luke Mockridge urteilen (BGH, Urteil vom 02.08.2022, Az.: VI ZR 26/21).

2018 wurde in den Medien, u.a. in einem YouTube-Video, über eine Beziehung des Comedian und Moderators Luke Mockridge mit der Comedian und Podcasterin Ines Anioli spekuliert. Auslöser der Spekulationen waren Urlaubspostings beider Personen auf Social-Media-Kanälen, die den Schluss nahelegten, dass sich die beiden zu diesem Zeitpunkt an ein und demselben Ort aufhielten, obwohl beide auf keinem der Postings gemeinsam zu sehen waren.

Zu dem damaligen Zeitpunkt hatten die beiden Prominenten ihre Beziehung noch nicht öffentlich gemacht.

Gegen diese Berichterstattung ging Luke Mockridge vor und ihm wurde zunächst auch Recht gegeben.

Der BGH sah dies allerdings anders.

Da sich Luke Mockridge zuvor bereits selbst in Interviews zu seinen Beziehungen und seinem Privatleben geäußert und er die Postings – in diesem Fall auf Instagram – selbst vorgenommen hatte und weil es auffällige Übereinstimmung seiner Postings und den Postings von Ines Anioli gab, lag, so der BGH, der Schluss nahe, dass sich beide Personen zusammen im Urlaub befanden. Daher sah der BGH das Persönlichkeitsrecht nicht als verletzt an. Auch die Spekulation darüber, ob beide Personen eine Beziehung haben, sei nicht persönlichkeitsrechtsverletzend, weil Luke Mockridge sich zuvor selbst über seine Beziehungen und sein Liebesleben in Interviews geäußert habe. Daher bestand auch ein öffentliches Interesse an dem Privatleben von Luke Mockridge und seinen Beziehungen, weshalb in dem vorliegenden Fall die Pressefreiheit vorgehe, so der BGH.

Dieser Fall beschäftigt sich mit der sog. Selbstöffnung von Prominenten:

Bei der Frage, ob jemand gegen die Presse vorgehen kann, wenn dort über das Privat- und Liebesleben berichtet wird, spielt es eine große Rolle, wie sich diese Person zuvor selbst in den Medien verhalten hat:

Wer Medien „den Blick ins Schlafzimmer“ gewährt, kann sich eventuell später nicht mehr wehren, wenn diese Berichterstattung zum Anlass genommen wird, ausführlich über das Privat- und Liebesleben zu berichten. Wer also gegen eine ausufernde Presseberichterstattung über das Privatleben vorgehen will, muss darauf achten, dass er keine Interviews über sein Privatleben gibt.