BGH zur Bildberichterstattung im Wirecard-Skandal: Wenn ein Bild (doch) mehr sagt als tausend Worte

Im Zentrum der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27. Mai 2025, AZ: VI ZR 337/22, steht die Frage, ob ein Nachrichtenmagazin während eines laufenden Strafverfahrens das Foto eines Beschuldigten veröffentlichen darf. Anlass war ein SPIEGEL-Bericht über den Wirecard-Skandal, der mit einem unverpixelten Portraitfoto des ehemaligen Managers Oliver Bellenhaus bebildert war. Dieser hatte in der Vergangenheit die Wirecard-Tochtergesellschaft „CardSystems MiddleEast FZ-LLC“ geleitet, die eine zentrale Rolle in dem milliardenschweren Bilanzbetrug spielte.

Vorinstanzen: Bildberichterstattung zunächst untersagt

Das Landgericht München I und später das Oberlandesgericht München untersagten die Veröffentlichung des Fotos. Zwar erkannten beide Gerichte an, dass eine Namensnennung in einer Verdachtsberichterstattung zulässig sei, verneinten jedoch ein öffentliches Interesse an der bildlichen Identifizierung des Klägers. Sie betonten insbesondere die Gefahr einer Prangerwirkung und die Bedeutung der Unschuldsvermutung.

BGH: Öffentlichkeitsinteresse überwiegt im Einzelfall

Der Bundesgerichtshof hob diese Entscheidungen auf. Die Richter stellten klar, dass im vorliegenden Fall das Informationsinteresse der Öffentlichkeit das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers überwiege. Der Wirecard-Skandal sei eines der größten Wirtschaftsverbrechen der Nachkriegsgeschichte und habe weit über den Finanzsektor hinaus politische und gesellschaftliche Relevanz entfaltet. Die Medienberichterstattung über zentrale Akteure sei daher von erheblichem öffentlichem Interesse.

Rolle des Klägers und freiwilliger Gang in die Öffentlichkeit

Besonders bedeutsam war für den BGH, dass der Kläger selbst die Öffentlichkeit suchte. Er hatte sich nicht nur freiwillig den Ermittlungsbehörden gestellt, sondern trat auch als Kronzeuge auf und entschuldigte sich öffentlich vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuss. In dieser Situation könne sich der Kläger nicht auf einen vollständigen Schutz vor identifizierender Bildberichterstattung berufen.

Keine Verletzung berechtigter Interessen

Auch das konkrete Foto sah der BGH als unbedenklich an. Es handelte sich um eine sachliche Portraitaufnahme aus dem Jahr 2006, die keine entwürdigende oder verfälschende Wirkung entfaltete. Zudem hatte der Kläger ein vergleichbares Bild bereits selbst in einer Unternehmensbroschüre veröffentlicht. Eine zusätzliche Stigmatisierung durch die Veröffentlichung im SPIEGEL sei daher nicht anzunehmen.

Bedeutung für die Praxis: Pressefreiheit gestärkt

Die Entscheidung hat weitreichende Bedeutung für Medienunternehmen, aber auch für Betroffene von Strafverfahren. Der BGH stellt klar: Auch während laufender Ermittlungen kann die Veröffentlichung eines unverpixelten Fotos zulässig sein – jedenfalls dann, wenn ein überragendes Informationsinteresse besteht, die Berichterstattung sachlich ist und der Betroffene bereits selbst in die Öffentlichkeit getreten ist.


Gericht: Bundesgerichtshof
Entscheidung vom: 27. Mai 2025
Aktenzeichen: VI ZR 337/22

Urteil: Keine unverpixelte Fotoveröffentlichung eines Angeklagten der „Gruppe Reuß“

Das Landgericht Karlsruhe hat am 9. Oktober 2024 (AZ: 22 O 6/24) eine wichtige Entscheidung zum Persönlichkeitsschutz gefällt. Konkret ging es um die Frage, ob ein bundesweit ausgestrahlter TV-Sender ein unverpixeltes Porträtfoto eines Angeklagten im Verfahren gegen die sogenannte „Gruppe Reuß“ zeigen durfte.

Hintergrund des Falls

Der Angeklagte war einer von mehreren Personen, denen die Beteiligung an einem versuchten Umsturz und die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird. Der Sender hatte in einer Nachrichtensendung über den Prozessauftakt berichtet und dabei ein Polizeifoto des Mannes ohne seine Einwilligung gezeigt. Dieses Foto stammte aus der Ermittlungsakte und wurde dem Sender offenbar zugespielt.

Der Betroffene hielt dies für eine Verletzung seines Rechts am eigenen Bild und klagte auf Unterlassung.

Das Gericht: Unverpixelte Abbildung ist rechtswidrig

Das Landgericht gab dem Kläger recht und verbot dem Sender, das Bild weiter zu verwenden. Dabei stützte es sich insbesondere auf folgende Erwägungen:

  • Recht auf Unschuldsvermutung: Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt jeder Angeklagte als unschuldig. Die Veröffentlichung eines identifizierenden Fotos kann diesen Grundsatz im öffentlichen Bewusstsein unterlaufen, da der Betrachter den Eindruck gewinnen könnte, es handele sich bereits um einen verurteilten Straftäter.
  • Keine absolute Vorrangstellung der Pressefreiheit: Auch wenn die Vorwürfe ein außergewöhnliches öffentliches Interesse rechtfertigen, darf dies nicht dazu führen, dass der Persönlichkeitsschutz vollständig verdrängt wird. Das Gericht stellte klar: Es gibt kein Ereignis, das allein wegen seiner Bedeutung automatisch das Persönlichkeitsrecht bricht.
  • Gefahr der Stigmatisierung: Gerade bei Fernsehberichterstattung entfaltet ein Bild eine hohe Wirkung. Die Kombination aus Ton, Bild und der leichten Auffindbarkeit in Mediatheken erhöht die Reichweite und den Eingriff in die Persönlichkeitsrechte erheblich.
  • Herkunft des Bildes: Das Foto stammte aus der Ermittlungsakte. Der Angeklagte konnte daher nicht damit rechnen, dass es veröffentlicht würde. Er hatte sich selbst nicht öffentlich exponiert.

Abwägung im Einzelfall

Das Gericht wog das öffentliche Informationsinteresse gegen das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ab. Zwar dürfen Medien grundsätzlich über Angeklagte berichten – auch mit Namen. Aber solange kein Schuldspruch vorliegt, muss bei der Abbildung besonderer Zurückhaltung gewahrt werden. Nach Auffassung des Gerichts wäre hier zumindest eine Verpixelung erforderlich gewesen.

Bedeutung für Medien und Betroffene

Dieses Urteil zeigt klar: Selbst bei spektakulären Strafverfahren bleibt das Persönlichkeitsrecht ein hohes Gut. Medien müssen sorgfältig prüfen, ob eine unverpixelte Darstellung wirklich notwendig und verhältnismäßig ist. Unternehmen und Personen, die in Strafverfahren geraten, können sich jedenfalls auf ein erhebliches Schutzinteresse berufen, solange keine Verurteilung erfolgt ist.


Gericht: Landgericht Karlsruhe
Datum der Entscheidung: 9. Oktober 2024
Aktenzeichen: 22 O 6/24
Fundstelle: ZUM-RD 2025, 334

Fotoveröffentlichung bei Demonstrationen gestattet – OLG Nürnberg stärkt Pressefreiheit

Ausgangslage & Sachverhalt

Ein Foto, aufgenommen im Oktober 2022 auf einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen, zeigt den Kläger inmitten einer kapellenartigen Kundgebung mit Skelettsymbolik und plakativen Slogans („Die Impfung wirkt! TODSICHER“). Die Aufnahme wurde etwa fünf Monate später in einem Online-Artikel zur gesellschaftlichen Debatte über Corona-Maßnahmen verwendet. Der Kläger klagte – das Landgericht wies diese ab; das OLG Nürnberg, Beschluss vom 4.11.2024 (AZ: 3 U 1585/24), bestätigte diese Entscheidung.

Rechtliche Basis & Prüfungsmaßstab

Nach §§ 22, 23 KunstUrhebergesetz (KUG) ist die Veröffentlichung von Bildnissen bei Versammlungen im zeitgeschichtlichen Kontext zulässig, sofern kein berechtigtes Interesse der abgebildeten Person verletzt wird:

  • § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG erlaubt Fotos von öffentlichen Versammlungen – hierzu zählen auch Demonstrationen.
  • § 23 Abs. 2 KUG wiederum schränkt ein, wenn die Abbildung entstellt oder aus ihrem Kontext gerissen ist. In diesem Fall ist ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt.

Das OLG stellte in seinem Beschluss klar:

  1. Auf Demonstrationen ist ein breites Interesse der Öffentlichkeit gerechtfertigt.
  2. Der Kläger wurde nicht isoliert oder entstellt präsentiert, sondern als Teil eines repäsentativen Bildausschnitts.
  3. Die Veröffentlichung erfolgte in einem gesellschaftlich relevanten und redaktionell integrierten Kontext, ohne tendenziöse Ausgestaltung des Bildnutzens.

Kernaussage des Gerichts

Die Veröffentlichung war insgesamt rechtmäßig:

  • Die Demonstration war zeitgeschichtliches Ereignis.
  • Der Bildausschnitt war journalistisch angemessen und nicht vereinzelt auf die Person gerichtet.
  • Kein entschädigungswürdiges Persönlichkeitsrechtsinteresse lag vor.

Praxisrelevanz für Medien & Fotografen

  1. Demonstrationen = Versammlungen: möglichst breit dokumentieren – erlaubt nach KUG.
  2. Kontextbezug essentiell: journalistisch eingebettete Berichterstattung ist entscheidend.
  3. Keine Einzelstellung: Betroffene dürfen nicht isoliert hervorgehoben werden.
  4. Priorität des Informationsinteresses: gesellschaftlicher Diskurs über Corona-Maßnahmen rechtfertigt Bildnutzung.

Fazit & Handlungsempfehlung

Für redaktionelle Medien ist das Urteil ein klares Signal:

  • Bildaufnahmen bei öffentlichen Kundgebungen sind in den meisten Fällen zulässig.
  • Entscheidend bleibt die kontextgerechte Nutzung – keinen Fokus auf Einzelpersonen, keine Entstellung und eindeutiger zeitgeschichtlicher Bezug.
  • Wer solche Fotos nutzt, sollte ein kurzes juristisches Faktencheck-Label im Impressum oder Bildnachweis beifügen, um eigene Rechtsrisiken niedrig zu halten.

Das OLG Nürnberg liefert klare Leitlinien für den Umgang mit Fotos von Demonstrationen in redaktionellen Medien und stärkt das Recht auf Berichterstattung im öffentlichen Interesse.

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Datum: 4. November 2024
Aktenzeichen: 3 U 1585/24
Fundstelle: ZUM-RD 2025, 323

Vollständige Namensnennung einer Richterin in kritischem Sachbuch zulässig – OLG Frankfurt bestätigt Pressefreiheit

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat mit Urteil vom 8. Mai 2025, AZ: 16 U 11/23, entschieden, dass die namentliche Nennung einer Richterin in einem Buch über Missstände in der Justiz zulässig ist. Die Klägerin, eine Vorsitzende Richterin, hatte gegen den Verlag auf Unterlassung geklagt, weil ihr Name im Zusammenhang mit einem Strafverfahren genannt wurde, das im Buch kritisch beleuchtet wird.

Worum ging es?

Die Richterin hatte ein bedeutendes Strafverfahren geleitet, das im Buch als Beispiel für strukturelle Defizite in der Justiz dient. Dort wird sie mit einem Zitat aus ihrer Urteilsbegründung wiedergegeben. Der Titel des Buches und seine Kapitelüberschriften lassen einen Bezug zu „rechten Richtern“ erkennen, auch wenn die Klägerin im Text nicht ausdrücklich so bezeichnet wird. Sie sah sich dennoch durch die Namensnennung in ein negatives Licht gerückt und machte eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts geltend.

Entscheidung des Gerichts

Das OLG Frankfurt wies die Berufung zurück – mit folgenden zentralen Begründungen:

  1. Zulässige Namensnennung bei amtlicher Tätigkeit: Wer als Richterin öffentlich ein Verfahren leitet, muss damit rechnen, dass Name und Wirken auch in der Presse aufgegriffen werden. Die Namensnennung stellt zwar einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar, ist aber durch das Interesse der Öffentlichkeit gedeckt.
  2. Verfassungsrechtlich geschütztes Öffentlichkeitsprinzip: Das Gericht verweist ausdrücklich auf die „normative Stoßrichtung“ des in § 169 GVG verankerten Öffentlichkeitsgrundsatzes: Dieser soll nicht nur Transparenz schaffen, sondern auch personelle Verantwortlichkeiten sichtbar machen. Dies gilt insbesondere für Vorsitzende Richter, die Urteile verkünden und Verfahren öffentlich führen.
  3. Keine Prangerwirkung oder falsche Tatsachen: Die Darstellung der Klägerin sei sachlich, ihre zitierte Äußerung korrekt wiedergegeben. Sie werde nicht als „rechte Richterin“ diffamiert, sondern lediglich im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit einem konkreten Verfahren erwähnt.
  4. Kein überwiegendes Persönlichkeitsinteresse: Weder wurde eine konkrete Gefährdungslage dargelegt, noch liegt eine Rufschädigung vor. Die Klägerin muss sich daher die Berichterstattung über ihre amtliche Tätigkeit gefallen lassen – auch in Form eines Buches, das dauerhaft veröffentlicht wird.
  5. Pressefreiheit überwiegt: Die Presse darf selbst entscheiden, welche Informationen sie für berichtenswert hält. Eine gerichtliche „Bedürfnisprüfung“, ob die Namensnennung wirklich erforderlich war, findet nicht statt.

Was bedeutet das für die Praxis?

Das Urteil betont, dass Mitglieder der Justiz – insbesondere Richterinnen und Richter – im Rahmen ihrer öffentlichen Funktion einer kritischen Berichterstattung nicht ausweichen können. Das Interesse der Öffentlichkeit an einer transparenten Justiz wiegt in der Regel schwerer als das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen. Auch eine dauerhafte Publikation in Buchform ändert daran nichts.

Fazit

Das OLG Frankfurt stellt klar: Wer öffentlich in gerichtlichen Verfahren agiert, muss auch mit einer namentlichen Nennung in der öffentlichen Diskussion rechnen – vorausgesetzt, die Berichterstattung ist sachlich korrekt. Der Schutz der Pressefreiheit und das öffentliche Interesse an der Kontrolle staatlichen Handelns haben in diesem Fall Vorrang.

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt am Main
Entscheidungsdatum: 8. Mai 2025
Aktenzeichen: 16 U 11/23
Vorinstanz: Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 15.12.2022 – 2-03 O 60/22
Zitierung: GRUR-RS 2025, 9439

OLG Frankfurt: Plattformen müssen sinngleiche Deepfake-Inhalte eigenständig entfernen

Der bekannte Arzt und Fernsehmoderator Eckart von Hirschhausen sah sich durch Deepfake-Videos auf der Social-Media-Plattform Facebook in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt. In den Videos wurde unter Verwendung seines Namens, Bildnisses und einer nachgeahmten Stimme der Eindruck erweckt, er bewerbe Produkte zur Gewichtsabnahme. Nachdem Meta, der Betreiber von Facebook, ein erstes Video nach Hinweis entfernte, blieb ein weiteres, nahezu identisches Video zunächst online. Von Hirschhausen beantragte daraufhin im Wege der einstweiligen Verfügung die Unterlassung der Verbreitung solcher Inhalte.

Die Anträge und die Entscheidung des Gerichts

Der Antragsteller begehrte die Unterlassung der Verbreitung sämtlicher Inhalte, in denen unter Verwendung seines Namens, Bildnisses und seiner Stimme der Eindruck erweckt werde, er bewerbe Mittel zur Gewichtsabnahme.

Das OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. März 2025, Az. 16 W 10/25, gab dem Antrag teilweise statt:

Untersagt wurde die Verbreitung eines konkreten Videos (Video 2), das rechtswidrig den Eindruck vermittelte, der Antragsteller werbe für Diätprodukte – unter Verwendung seines Namens, Bildnisses und seiner Stimme.

Nicht untersagt wurde die Verbreitung eines weiteren Videos (Video 1), da es sich nicht um einen sinngleichen Inhalt im Verhältnis zu früher beanstandeten Beiträgen handelte.

Abgewiesen wurde der Antrag insoweit, als der Eindruck nur durch einzelne der genannten Merkmale (etwa nur Bild oder Stimme) erweckt wurde. Das Gericht argumentierte, dass solche Fälle für den durchschnittlichen Nutzer als Deepfake erkennbar sein könnten.

Wesentliche rechtliche Erwägungen

Das OLG Frankfurt stellte klar, dass Hostprovider wie Meta nach einem konkreten Hinweis auf einen rechtsverletzenden Inhalt verpflichtet sind, nicht nur diesen zu entfernen, sondern auch eigenständig nach sinngleichen Inhalten zu suchen und diese zu sperren. Sinngleiche Inhalte sind solche, die trotz abweichender äußerlicher Gestaltung (z. B. andere Auflösung, Farbfilter, Zuschnitt, typografische Anpassungen oder zusätzliche Bildunterschriften) im Aussagegehalt identisch bleiben.

Das Gericht betonte, dass es Meta technisch möglich und zumutbar sei, solche Inhalte zu identifizieren, insbesondere unter Einsatz von KI. Die Prüfpflicht besteht auch in Bezug auf sinngleiche Inhalte, sobald ein rechtswidriger Ausgangsinhalt mitgeteilt wurde – eine Weiterentwicklung der sogenannten „Kerntheorie“.

Bedeutung der Entscheidung

Mit diesem Beschluss führt das OLG Frankfurt seine Linie aus der „Künast-Meme“-Entscheidung konsequent fort. Die Entscheidung zeigt: Plattformen müssen nicht nur auf konkrete Hinweise reagieren, sondern auch eigenständig tätig werden, wenn Inhalte in Wort und Bild nahezu identisch sind und denselben rechtsverletzenden Eindruck vermitteln.

Keine Geldentschädigung für Zwangsouting – LG Berlin zur Pressefreiheit vs. Persönlichkeitsrecht

Ein Bericht über die angebliche Beziehung eines Geschäftsführers mit einem Kollegen und dessen geplante Beförderung führte zu einem gerichtlichen Streit um Geldentschädigung. Der Kläger sah sich durch die Presseveröffentlichung in unzutreffender Weise geoutet und in seinem beruflichen wie privaten Ansehen geschädigt. Das Landgericht Berlin II, Urteil vom 26.11.2024 – 27 O 507/23 – ZUM-RD 2025, 261 (nicht rechtskräftig), lehnte eine Entschädigung in sechsstelliger Höhe jedoch ab.

Sachverhalt

Ein langjähriges Mitglied der Geschäftsführung eines Unternehmens verklagte ein Online-Medium, das berichtet hatte, er wolle seinen „Lebensgefährten zum Firmenchef machen“. Die Veröffentlichung enthielt Angaben zu einer angeblichen Liebesbeziehung sowie zur (nicht geplanten) Berufung des Partners zum Geschäftsführer.

Der Kläger argumentierte, die Aussagen seien falsch und stellten ein Zwangsouting dar. Zudem werde durch die Kombination beider Aussagen suggeriert, die Personalentscheidung basiere auf der privaten Beziehung – was seinen Ruf beschädige. Er forderte daher mindestens 100.000 Euro Schmerzensgeld sowie Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Landgericht wies die Klage als unbegründet ab:

  • Zulässigkeit bejaht: Das Gericht sah sich örtlich zuständig (§ 32 ZPO) und verwarf die Einwände gegen den sogenannten „fliegenden Gerichtsstand“.
  • Kein Anspruch auf Geldentschädigung: Zwar sei die Offenlegung der sexuellen Orientierung grundsätzlich ein erheblicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht. Doch fehlten konkrete Belege für daraus erwachsene schwerwiegende Nachteile. Der Kläger konnte keine konkreten beruflichen oder privaten Folgen nachweisen, die über allgemeine Unannehmlichkeiten hinausgehen.
  • Ton und Kontext der Berichterstattung: Die Darstellung sei sachlich und nicht herabsetzend erfolgt. Die sexuelle Orientierung war kein zentraler, sondern nur ein Randaspekt. Der Eindruck, der angebliche Partner sei ausschließlich wegen der Beziehung befördert worden, sei nicht entstanden – im Gegenteil, der Artikel würdigte dessen fachliche Qualitäten.
  • Vorbekannte Information: Die sexuelle Orientierung war bereits Teilen des privaten Umfelds bekannt, sodass ein vollständiges „Outing“ durch den Bericht nicht vorlag.
  • Vorliegender Unterlassungstitel: Dass bereits ein Unterlassungstitel gegen die Berichterstattung erwirkt wurde, sprach zusätzlich gegen die Notwendigkeit einer Geldentschädigung.

Fazit für die Praxis

Das Urteil verdeutlicht die hohe Schwelle für Geldentschädigungen bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch die Presse. Unternehmer müssen nicht nur einen Eingriff, sondern auch erhebliche und konkrete negative Folgen belegen. Berichterstattungen, die sachlich und ohne Sensationsgier formuliert sind, genießen unter dem Schutz der Pressefreiheit weiten Raum – selbst wenn sie sensible private Informationen enthalten.

Rufschädigung durch falsche Behauptung im Fernsehen

Das Landgericht Hamburg (Beschluss vom 02.04.2025 – Az. 324 O 134/25) hat in einem einstweiligen Verfügungsverfahren auf Antrag von Sahra Wagenknecht und ihrer Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“ dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) untersagt, eine bestimmte Aussage aus der ARD-Talkshow „Caren Miosga“ weiterhin in der Mediathek verfügbar zu halten. Die Entscheidung hat weitreichende Bedeutung für Persönlichkeitsrechte im Kontext medialer Berichterstattung.

Der Fall: Was war passiert?

In der ARD-Sendung „Caren Miosga“ vom 9. März 2025 behauptete eine Teilnehmerin, Sahra Wagenknecht betreibe einen Telegram-Kanal, über den sie „auf Russisch, eins zu eins an das russische Volk bzw. an Herrn Putin“ ihre Botschaften richte. Diese Äußerung wurde im Rahmen einer politischen Diskussion ab Minute 57:32 der Sendung gemacht und war weiterhin über die ARD-Mediathek abrufbar.

Sahra Wagenknecht sowie ihre Partei sahen hierin eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung und beantragten den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den NDR, gerichtet auf die Unterlassung der weiteren Verbreitung dieser Äußerung.

Die Entscheidung: Unterlassungsanspruch wegen unwahrer Tatsachenbehauptung

Das Landgericht Hamburg folgte dem Antrag in vollem Umfang. Es sah in der streitgegenständlichen Äußerung eine unwahre Tatsachenbehauptung, die geeignet ist, den sozialen Geltungsanspruch der Antragsteller erheblich zu beeinträchtigen.

Die Kammer stellte klar, dass das Persönlichkeitsrecht der Antragsteller sowohl durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG als auch durch § 823 Abs. 1 BGB geschützt ist. Der Umstand, dass die Äußerung durch eine Dritte in einer Live-Sendung getätigt wurde, ändere nichts daran, dass der NDR jedenfalls für die fortgesetzte Verbreitung in der Mediathek verantwortlich sei. Ein medienrechtliches „Archiv-Privileg“ greife hier nicht, insbesondere da der NDR nachweislich Kenntnis von der Unwahrheit der Aussage hatte.

Bedeutung für die Praxis

Der Beschluss betont erneut die Pflichten von Medienanbietern bei der fortgesetzten Bereitstellung von Inhalten über Mediatheken. Zwar können sie für Live-Äußerungen Dritter nicht ohne Weiteres haftbar gemacht werden, sehr wohl aber für deren spätere Verbreitung, wenn sie nachweislich rechtswidrig sind. Für Medienschaffende bedeutet dies eine gesteigerte Prüfungspflicht bei archivierten Sendungen.

Kunstfreiheit vs. Persönlichkeitsrecht: OLG Hamburg bestätigt Schutz fiktiver Romanfiguren trotz realer Vorbilder

In einem viel beachteten Beschluss hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 18. März 2025, AZ: 7 W 23/25, BeckRS 2025, 6014068) klargestellt, dass die Kunstfreiheit eines Romans auch dann überwiegen kann, wenn reale Personen als Vorbilder erkennbar sind – solange die Darstellung als fiktional erkennbar bleibt und keine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt.

Der Fall

Ein prominentes Galeristenpaar aus Berlin verlangte im Eilverfahren die Unterlassung der Veröffentlichung des Romans „Innerstädtischer Tod“. Sie sahen sich in den Romanfiguren „Konrad Raspe“ und „Eva-Kristin Raspe“ wiedererkannt und machten eine Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte geltend. Die Figuren wiesen zahlreiche Parallelen zu den Antragstellern auf – unter anderem betreiben beide Paare eine Galerie in einer ehemaligen Kirche, und gegen den Antragsteller zu 1) wurden – wie im Roman – Vorwürfe sexueller Übergriffe öffentlich erhoben.

Die Entscheidung

Das OLG wies die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags auf einstweilige Verfügung zurück. Es bestätigte die Entscheidung des LG Hamburg vom 24. Februar 2025 (Az. 324 O 44/25) und stellte sich auf die Seite der Kunstfreiheit:

  • Erkennbarkeit allein genügt nicht: Auch wenn die Antragsteller als reale Vorbilder identifiziert werden können, führt dies nicht automatisch zu einem Unterlassungsanspruch. Entscheidend sei die Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Kunstfreiheit.
  • Keine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung: Die Romanfiguren seien deutlich fiktionalisiert, wiesen Unterschiede zu den Antragstellern auf (z. B. kein gemeinsames Kind, abweichende Altersstruktur, andere Galeriearchitektur) und seien eingebettet in ein vielschichtiges literarisches Werk mit wechselnden Perspektiven und Themenkomplexen.
  • Fiktionaler Charakter erkennbar: Der Roman erhebe keinen Faktizitätsanspruch, bezeichne sich explizit als fiktiv und enthalte einen „Disclaimer“, der auf die künstlerische Gestaltung verweist. Die Leser würden den Text als literarische Fiktion und nicht als Tatsachenbericht wahrnehmen.
  • Keine Verletzung der Intimsphäre: Selbst die expliziten Szenen – wie eine Affäre zwischen der Romanfigur „Eva-Kristin Raspe“ und einem Künstler – seien klar als Fiktion erkennbar und dienten literarischen Zwecken.

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung stärkt die Kunstfreiheit und gibt Verlagen sowie Autoren mehr Sicherheit im Umgang mit realitätsnahen literarischen Werken. Auch wenn reale Personen als Vorbilder dienen, ist entscheidend, dass das Werk insgesamt als Fiktion erkennbar bleibt und keine schwerwiegende Herabwürdigung oder Bloßstellung erfolgt. Gleichzeitig mahnt das OLG zur sorgfältigen Abwägung im Einzelfall, insbesondere wenn sensible Lebensbereiche wie Sexualität oder Gesundheit betroffen sind.

Die vom Gericht entwickelten Abwägungsgrundsätze gelten nicht nur für Romane, sondern lassen sich grundsätzlich auch auf andere Kunstformen wie Theaterstücke oder Filme übertragen. Entscheidend ist stets, ob ein Werk einen Faktizitätsanspruch erhebt oder sich als Fiktion zu erkennen gibt. Auch bei filmischen Darstellungen, die an reale Ereignisse oder Personen angelehnt sind, ist daher zu prüfen, ob eine ausreichende Verfremdung vorliegt und der fiktionale Charakter deutlich wird.

OLG Dresden zur Haftung von Arbeitgeberbewertungsportalen

Die Klägerin, ein mittelständisches Logistikunternehmen, hatte sich gegen eine negative Bewertung auf dem Arbeitgeberbewertungsportal „kununu.de“ gewandt. Die anonyme Bewertung beschrieb den Arbeitgeber als „schlechtesten Arbeitgeber aller Zeiten“ und kritisierte unter anderem den Umgang mit Mitarbeitern sowie eine hohe Fluktuation.

Die Klägerin machte geltend, dass die Bewertung irreführend sei, da die bewertende Person kein Beschäftigungsverhältnis mit ihr gehabt habe. Die Betreiberin des Portals, die Beklagte, weigerte sich, die Bewertung zu löschen, bot jedoch an, die Bewertung unter einer separaten Unternehmensseite zu belassen.

Das Landgericht Leipzig (Az. 08 O 1770/23) hatte die Beklagte zunächst zur Löschung der Bewertung verurteilt. Dagegen legte die Betreiberin von kununu.de Berufung ein.

Entscheidung des OLG Dresden

Das OLG Dresden hob das Urteil des Landgerichts Leipzig auf und wies die Klage ab. Das Gericht entschied, dass:

  1. Die Interessen des bewerteten Unternehmens vorrangig sind, wenn nachgewiesen wird, dass kein Beschäftigungsverhältnis bestand.
  2. Das Portal Prüfpflichten hat, wenn ein Unternehmen rügt, dass die bewertende Person kein Beschäftigungsverhältnis hatte.
  3. Der Umfang der Prüfpflichten im Einzelfall abzuwägen ist, wobei der Portalbetreiber nicht verpflichtet ist, die Identität des Bewertenden offenzulegen.
  4. Die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen war, indem sie interne Prüfungen durchführte und glaubhafte Belege für ein Beschäftigungsverhältnis vorlegte.

Bedeutung für Unternehmen:

Das Urteil verdeutlicht, dass Arbeitgeberbewertungsportale nicht automatisch für jede negative Bewertung haften. Allerdings haben Portalbetreiber Prüfpflichten, wenn die Authentizität einer Bewertung bestritten wird. Unternehmen können sich gegen falsche Bewertungen wehren, müssen jedoch konkrete Anhaltspunkte liefern.

Für Arbeitgeber bedeutet dies:

  • – Eine pauschale Rüge, dass derjenige, der bewertet hat, nicht im Unternehmen beschäftigt war, reicht nicht immer aus – es sollten weitere Argumente vorgebracht werden, die sich inhaltlich mit der Bewertung auseinander setzen.
  • – Betreiber von Bewertungsplattformen müssen eine sorgfältige Prüfung vornehmen, jedoch keine personenbezogenen Daten des Bewertenden offenlegen.

OLG Dresden, Urteil vom 17.12.2024 – 4 U 744/24
Fundstelle: openJur 2025, 8077

Boris Becker vs. Oliver Pocher und eine juristische Definition von Satire

Das Landgericht Offenburg hatte über einen Rechtsstreit zwischen Boris Becker und Oliver Pocher zu entscheiden (Urteil vom 15.11.2022, Az.: 2 O 20/21).

In der RTL-Sendung „Pocher – gefährlich ehrlich“ im Oktober 2020 wurde ein Beitrag unter dem Slogan „Make Boris rich again“ ausgestrahlt, in dem zu Spenden für Boris Becker aufgerufen wurde, weil über dessen Vermögen in Großbritannien das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Die eingesammelten „Spenden“ – ein dreistelliger Betrag – sollten Boris Becker übergeben werden, der jedoch die Annahme des Geldes verweigerte.

Oliver Pocher erfand daher einen „Modepreis“, welcher Boris Becker angeblich zukommen sollte. In der Preistrophäe war das gesammelte Bargeld versteckt, so dass bei der Preisübergabe Boris Becker das Geld übergeben werden sollte. Boris Becker wusste nichts davon.

Boris Becker erhob gegen Oliver Pocher vor dem Landgericht Offenburg eine Klage auf Unterlassung, weil er sich durch den Beitrag und insbesondere durch die Täuschung in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt sah.

In der vorgenommenen Abwägung entschied das Landgericht jedoch, dass die Kunst- und Meinungsfreiheit, welche Oliver Pocher für sich in Anspruch nehmen konnte, das Persönlichkeitsrecht von Boris Becker überwiege. Denn bei dem Fernsehbeitrag handle es sich um Satire.

Das Landgericht Offenburg hat dabei die (juristische) Definition von „Satire“ sehr gut herausgearbeitet. In Rdnr. 111 des Urteil heißt es:

Jedoch stellt sich die Täuschung des Klägers hinsichtlich der eigentlichen Hintergründe der Preisverleihung als der satirischen Berichterstattung zuzurechnendes Stilmittel dar. Satire arbeitet mit unterschiedlichen Elementen bzw. Stilfiguren, denen gemein ist, dass sie zu Überzeichnungen und Übertreibungen neigen, die typischerweise zu Lasten desjenigen gehen, der Gegenstand der satirischen Darstellung ist. Neben der Übertreibung (BVerfG, Beschluss vom 03.06.1987 — 1 BvR 313/85, BVerfGE 75, 369-382; BGH, Urteil vom 10.01.2017 – VI ZR 562/15, juris Rn. 14; Staudinger/Hager, BGB, Neubearbeitung 2017, C. Das Persönlichkeitsrecht Rn. C67) und der Zuspitzung (LG München I, Urteil vom 30.10.2015 – 9 O 5780/16, AfP 2016, 89 (91) sind als weitere Stilmittel der Satire die Ironie (OLG Hamm, Urteil vom 04.02.2004 – 3 U 168/03, juris Rn. 30; Härting in: Härting, Internetrecht, 6. Aufl.2017, B. Persönlichkeitsrechte Rn. 472), die Verfremdung bzw. Verzerrung (BVerfG, Beschluss vom 03.06.1987 – 1 BvR 313/85, BVerfGE 75, 369-382; BGH, Urteil vom 10.01.2017 – VI ZR 562/15, juris Rn. 14; Staudinger/Hager, BGB, Neubearbeitung 2017, C. Das Persönlichkeitsrecht Rn. C67), der Spott (OLG Hamm, Urteil vom 04.02.2004, – 3 U 168/03, juris Rn. 30) und schließlich auch der – gegebenenfalls auch bösartige – Scherz (vgl. BGH, Urteil vom 28.07.2016 – I ZR 9/15, juris Rn. 33; BGH, Urteil vom 26.10.2006 – I ZR 182/04, juris Rn. 11; BGH, Urteil vom 03.06.1986 – VI ZR 102/85, juris Rn. 19, 21) anerkannt. Nachdem es der Satire insoweit wesenseigen ist, mit Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen zu arbeiten, werden gerade im Bereich der Satire die Grenzen des guten Geschmacks und des einwandfreien Sprachgebrauchs oftmals überschritten, wobei eine „Niveaukontrolle“ gleichwohl nicht stattfinden darf (BGH, Urteil vom 07.12.1999 – VI ZR 51/99, juris Rn. 43 m.w.N.). Die vorliegende Täuschung des Klägers über die wahren Hintergründe der Preisverleihung ist als Bestandteil der satirischen Berichterstattung anzusehen, hinsichtlich derer sich der Beklagte auf das Grundrecht der Meinungs- und Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG berufen kann.“

Auch sah das Landgericht kein berechtigtes Interesse von Boris Becker verletzt, weswegen die Unterlassungsklage scheiterte.