Haftung für KI-generierte Aussagen auf X durch Grok

Mit Beschluss vom 23. September 2025 hat das Landgericht Hamburg entschieden: Auch dann, wenn eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch eine Künstliche Intelligenz begangen wird, haftet der Betreiber des Accounts, der diese Äußerung öffentlich verbreitet – unabhängig davon, ob der Inhalt menschlichen oder maschinellen Ursprungs ist.

Der Fall: KI-Aussage auf X verletzt Persönlichkeitsrecht

Im konkreten Fall hatte der X-Account „@grok“ – betrieben von xAI, dem von Elon Musk gegründeten KI-Unternehmen – auf einen Nutzerbeitrag reagiert und eine Liste von Organisationen veröffentlicht, denen unterstellt wurde, stark von staatlicher Förderung abhängig zu sein. Unter den Genannten: der Antragsteller, der die Aussage als unwahr zurückwies.

Das Gericht gab ihm recht: Die Behauptung sei prozessual unwahr, verletze das allgemeine Persönlichkeitsrecht und sei zu unterlassen. Entscheidend: Dass die Äußerung durch eine KI generiert wurde, entlastete die Account-Betreiberin nicht. Sie haftet, weil sie den Beitrag über ihren öffentlich zugänglichen X-Account verbreitet und sich damit zu eigen gemacht hat.

Warum das Urteil alle betrifft

Die Entscheidung ist nicht nur für Unternehmen relevant, sondern für jeden, der mit KI-basierten Diensten in Berührung kommt – sei es als Nutzer, als Anbieter oder als Betroffener einer KI-generierten Aussage:

  • Wer eine KI-Plattform wie Grok, ChatGPT oder andere öffentlich einsetzt, trägt Verantwortung für die generierten Inhalte – unabhängig davon, ob sie von Menschen oder Maschinen stammen.
  • Wer von einer solchen Äußerung betroffen ist – etwa durch falsche Tatsachenbehauptungen – hat grundsätzlich Anspruch auf rechtlichen Schutz, selbst wenn der Inhalt nicht von einer Person, sondern von einer KI stammt.
  • Plattformbetreiber, Influencer, Blogger oder Organisationen, die KI-Tools in der öffentlichen Kommunikation einsetzen, sollten wissen: Die Veröffentlichung KI-generierter Aussagen zieht dieselben rechtlichen Folgen nach sich wie jede menschliche Äußerung.

Offene Rechtsfrage: Was gilt bei privaten Nutzeranfragen?

Die Entscheidung betrifft explizit eine öffentlich auf X (vormals Twitter) abrufbare Äußerung. Doch was passiert, wenn ein Nutzer eine private Abfrage an ein KI-System wie Grok stellt – also ohne jegliche öffentliche Verbreitung – und die Antwort enthält eine ehrverletzende Unwahrheit?

Diese Konstellation ist juristisch bislang kaum geklärt. Fraglich ist:

  • Ob eine nicht-öffentliche Antwort rechtlich als „Verbreitung“ oder „Veröffentlichung“ gilt.
  • Ob ein Schaden entstehen kann, wenn die Antwort nur der Anfragende liest.
  • Ob dieselben Maßstäbe wie bei öffentlichen Äußerungen anzuwenden sind.

Solange keine Außenwirkung besteht, dürfte eine Haftung schwer begründbar sein. Dennoch sollten Unternehmen, die KI in Kundenkommunikation oder Beratung einsetzen, sehr genau prüfen, welche Inhalte in welchen Kontexten generiert werden – und welche Kontrolle sie darüber haben.

Fazit

Die Entscheidung des Landgerichts Hamburg zeigt unmissverständlich: Wer öffentlich kommuniziert – auch durch KI – haftet für die Inhalte. Eine Entlastung mit dem Verweis auf „künstliche Autorenschaft“ ist ausgeschlossen, sobald eine Verbreitung über den eigenen Account erfolgt.


LG Hamburg
Beschluss vom 23.09.2025
Az. 324 O 461/25
GRUR-RS 2025, 27056

Persönlichkeitsrecht schlägt Pressefreiheit: OLG Köln verbietet identifizierende Verdachtsberichterstattung

Das Oberlandesgericht Köln hat in einem Urteil vom 23. Oktober 2025 (Az. 15 U 208/25) zugunsten des Persönlichkeitsschutzes entschieden und mehreren Medien die weitere Verbreitung identifizierender Verdachtsberichterstattung untersagt. Im Zentrum des Falls stand ein Musiker, dem in mehreren Presseartikeln vorgeworfen wurde, sexuelle Kontakte zu jugendlichen Orgelschülern gesucht zu haben.

Was war passiert?

Mehrere Medien hatten in Print- und Onlineberichten Vorwürfe gegen den Antragsteller, einen Musiker, veröffentlicht. Die Artikel griffen dabei Ergebnisse eines internen Untersuchungsberichts der evangelischen Kirche auf, formulierten jedoch eigene Recherchen, Bewertungen und Schlussfolgerungen. Der Musiker sah sich dadurch in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt und erwirkte beim Landgericht Siegen eine teilweise einstweilige Verfügung. Gegen dieses Urteil legten beide Seiten Berufung ein.

Kernaussagen des OLG Köln

Das OLG Köln gab dem Musiker nun umfassend Recht. Das Gericht stellte klar, dass die beanstandeten Äußerungen in vollem Umfang unzulässig seien. Es untersagte den Medien die Verbreitung der Aussagen unter Androhung hoher Ordnungsmittel.

Die Begründung:

  • Eigene Äußerung der Medien: Die betroffenen Berichte waren nicht bloße Wiedergabe fremder Aussagen, sondern eigene journalistische Darstellung – das heißt: Die Medien waren voll verantwortlich.
  • Identifizierende Berichterstattung: Da der Musiker namentlich und eindeutig erkennbar war, greift die Berichterstattung tief in dessen Persönlichkeitsrecht ein, insbesondere weil sie strafrechtlich oder moralisch belastende Vorwürfe enthielt.
  • Fehlende Stellungnahme des Betroffenen: Die Medien hatten den Betroffenen vor Veröffentlichung nicht zur Stellungnahme aufgefordert – ein zwingender Bestandteil zulässiger Verdachtsberichterstattung. Dass der Musiker sich zwei Jahre zuvor im Rahmen eines anderen Verfahrens nicht äußern wollte, entband die Redaktionen nicht von einer erneuten Kontaktaufnahme.
  • Falsche Darstellung: Eine der zentralen Aussagen, wonach der Musiker sexuelle Handlungen mit Jugendlichen eingeräumt habe, entsprach nach den Feststellungen des Gerichts nicht der Wahrheit.

Bedeutung für die Praxis

Das Urteil betont erneut die hohen Anforderungen an die sogenannte Verdachtsberichterstattung. Medien dürfen über mögliche Verfehlungen nur berichten, wenn:

  • ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegt,
  • keine Vorverurteilung erfolgt,
  • der Betroffene vorher angehört wird,
  • und seine Sichtweise in der Berichterstattung auch tatsächlich sichtbar gemacht wird.

Vor allem letzteres wurde im vorliegenden Fall verletzt. Eine nachträgliche Möglichkeit zur Stellungnahme reicht nicht aus, um diesen Fehler zu heilen.

Fazit

Das Urteil des OLG Köln stellt klar: Die Pressefreiheit endet dort, wo die Persönlichkeitsrechte Einzelner in rechtswidriger Weise verletzt werden. Wer über Verdachtsmomente berichtet, muss sorgfältig arbeiten – besonders wenn Namen genannt werden.


Gericht: Oberlandesgericht Köln
Datum: 23.10.2025
Aktenzeichen: 15 U 208/25

Online-Coaching-Verträge und das FernUSG: Zwei weitere Gerichtsentscheidungen bejahen die Anwendbarkeit

In unserem Blogartikel vom 16. Juli 2025 hatten wir ausführlich das wegweisende Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Juni 2025 (Az.: III ZR 109/24) analysiert. Der BGH hatte darin erstmals klargestellt, dass das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) auch auf reine B2B-Coachings Anwendung finden kann – mit erheblichen Auswirkungen auf viele Anbieter von Online-Trainings.

Nun liegen zwei weitere Entscheidungen vor, die diese Linie bestätigen und weiter konkretisieren:

OLG Köln: Kein Raum für enge Auslegung des FernUSG

Mit Hinweisbeschluss vom 8. August 2025 (Az.: 21 U 13/25) hat das OLG Köln klargestellt, dass Online-Coachings mit Videolektionen und Live-Coachings unter das FernUSG fallen, selbst wenn der Teilnehmer Unternehmer ist. Maßgeblich sei allein, dass der Unterricht entgeltlich, räumlich getrennt und mit einer Überwachung des Lernerfolgs verbunden ist.

Das Gericht betont: Eine Einschränkung des Begriffs der „räumlichen Trennung“ – etwa durch die Forderung nach überwiegend asynchroner Vermittlung – lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Auch rein synchrone Live-Videocoachings erfüllen das Tatbestandsmerkmal, wenn sich Lehrender und Lernender nicht im selben Raum befinden. Die Anforderungen an die „Überwachung des Lernerfolgs“ seien niedrig und schon erfüllt, wenn es Gelegenheiten für Rückfragen und individuelle Bewertungen gibt – etwa durch Messenger-Kommunikation, Live-Coachings oder strukturierte Feedbacks. Im Beschluss schreibt das OLG explizit:

„Der gesetzliche Zweck des Fernunterrichtsgesetzes, den Fernunterrichtsinteressenten vor Angeboten von geringer Qualität zu schützen, rechtfertigt die Einbeziehung des Angebots von Online-Unterricht. Denn Online-Unterricht kann im Vergleich zu Präsenzunterricht mit verhältnismäßig geringem Aufwand durchgeführt und über das Internet verbreitet werden. Das Bedürfnis, die Teilnehmer vor unseriösen Anbietern zu schützen, ist bei Videokonferenzen deutlich größer als bei Präsenzveranstaltungen, nachdem für Präsenzveranstaltungen Investitionen in die Räume erforderlich sind, was unseriöse Anbieter abschrecken kann.“

BGH: Schwerpunkt auf Wissensvermittlung ist entscheidend

In seinem Urteil vom 2. Oktober 2025 (Az.: III ZR 173/24) hat der Bundesgerichtshof seine Linie nochmals präzisiert. Entscheidend sei, ob der Vertrag auf die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten gerichtet ist – unabhängig davon, ob dies systematisch-didaktisch aufbereitet ist oder ob der Teilnehmer Verbraucher oder Unternehmer ist.

Der BGH bewertet das Programm „E-Commerce Master Club“ als Fernunterricht im Sinne des FernUSG. Der lebenslange Zugang zu Videomodulen sei als asynchroner Unterricht zu werten, die begleitenden Coaching-Calls ergänzten diesen nur. Auch hier bejaht der BGH die „Überwachung des Lernerfolgs“, weil Q&A-Sessions, Support-Gruppen und die Möglichkeit zur individuellen Rückfrage vertraglich vorgesehen waren.

Besonders deutlich: Auch Unternehmer fallen unter den Schutzbereich des FernUSG, denn sie seien gerade im Bereich der beruflichen Neuorientierung oft ebenso schutzbedürftig wie Verbraucher.


Reform des FernUSG: Abschaffung oder Digitalisierung?

Parallel zur Rechtsprechung hat sich auch die politische Diskussion über das FernUSG deutlich intensiviert:

  • Der Nationale Normenkontrollrat hat öffentlich die ersatzlose Abschaffung des FernUSG empfohlen. Nur wenige Schutzregelungen – wie etwa das Kündigungsrecht – sollten in das allgemeine Vertragsrecht (BGB) überführt werden.
  • Auch der Bundesverband der Fernstudienanbieter fordert eine grundlegende Neuregelung, da das FernUSG aus dem Jahr 1977 den heutigen digitalen Coaching- und Lernformaten nicht mehr gerecht werde.
  • Beim Deutschen Bundestag liegt eine Stellungnahme zur „Änderung des FernUSG“ vor. Konkrete Gesetzesentwürfe sind jedoch bislang nicht veröffentlicht worden.
  • Es ist daher mit einer Modernisierung oder Reform in der kommenden Legislaturperiode zu rechnen – Anbieter sollten sich frühzeitig darauf einstellen.

Fazit für Teilnehmer von Online-Coachings: Stärkere Rückforderungsmöglichkeiten

Für Kunden von Online-Coachings ergibt sich aus der aktuellen Rechtslage eine klare Verbesserung ihrer rechtlichen Stellung:

  • Verträge über Online-Coachings ohne Zulassung nach dem FernUSG können nichtig sein – auch bei rein unternehmerischer Teilnahme.
  • Die Gerichte stellen klar: Schon bei einfachen Feedback-Formaten und synchronem Online-Unterricht liegt Fernunterricht vor – mit entsprechenden Schutzrechten für die Teilnehmer.
  • Teilnehmer können auf dieser Basis bereits gezahlte Gebühren rückfordern, wenn die gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllt sind.
  • Dies gilt besonders dann, wenn keine Zulassung der Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) vorliegt und der Anbieter keine ausreichende Belehrung oder Lernkontrollmechanismen bietet.

BGH, Urteil vom 02.10.2025, Az.: III ZR 173/24, veröffentlicht in MIR 2025, Dok. 07

OLG Köln, Hinweisbeschluss vom 08.08.2025, Az.: 21 U 13/25

GEMA vs OpenAI: Volltextveröffentlichung des Urteils und meine Bewertung

Am 11.11.2025 hat das LG München I der Klage der GEMA gegen OpenAI im Wesentlichen stattgegeben. An diesem Tag lag lediglich eine Pressemitteilung des Gerichts vor, die bereits an diesem Tag „heiß diskutiert“ worden ist. Nun wurde das Urteil im Volltext veröffentlicht, so dass man jetzt auch die Gründe, die zur Verurteilung führten, nachlesen kann. Da es hier auf auch juristische Feinheiten ankommt, heute mal ein Blogbeitrag, der etwas mehr an „Juristendeutsch“ enthält als üblich.

Das Gericht bejaht in dem Streitfall zwischen der GEMA und OpenAI weitreichende Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche wegen Urheberrechtsverletzungen an Liedtexten. Die Entscheidung ist wegweisend, da sie erstmals die technische Realität einer vom Gericht angeführten Memorisierung urheberrechtlich geschützter Werke im Modell juristisch einordnet.

I. Die Memorisierung als Vervielfältigung im Modell

Das LG München I unterscheidet mehrere Phasen beim Einsatz generativer Sprachmodelle:

Pre-Training

In dieser Phase wird das Modell mit großen Mengen an Texten trainiert. Die Texte werden in Token umgewandelt und in numerische Vektoren transformiert. Das neuronale Netz passt seine Gewichte an, um semantische und syntaktische Zusammenhänge zu lernen. Die Inhalte aus den Trainingsdaten – darunter auch Liedtexte – fließen dabei direkt in die Modellstruktur ein.

Memorisierung

Das Gericht sieht die Memorisierung als Ergebnis der Pre-Training-Phase: Inhalte, die häufig oder stabil in den Trainingsdaten vorkamen, werden so verinnerlicht, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit bei passenden Prompts reproduziert werden können. Die Inhalte sind somit „im Modell gespeichert“. Das Modell funktioniert in diesen Fällen wie eine Datenbank – Inhalte sind fixiert und jederzeit abrufbar.

Decoding und Ausgabe (Output)

In dieser Phase wird der deterministische Softmax-Output des Modells durch sogenannte Decoding-Strategien (z. B. Sampling, Temperature-Parameter) in menschlich lesbare Texte überführt. Zwar können hier Varianzen auftreten, doch bei memorisierten Inhalten ist der Output laut Gericht meist stabil und konsistent. Die Zufälligkeit betreffe in der Regel nur Einleitung oder Kontext, nicht den memorisierten Kerninhalt.

Das Gericht macht also klar: Bereits in der Pre-Training-Phase erfolgt die urheberrechtlich relevante Nutzung in Form einer Vervielfältigung. Die spätere Ausgabe belege nur, was im Modell zuvor gespeichert wurde.

Das Gericht qualifiziert sodann die Memorisierung urheberrechtlich geschützter Liedtexte in den Parametern der Large Language Models (LLMs) als eine (dann wohl weitere) urheberrechtlich relevante Vervielfältigung im Sinne von § 16 Abs. 1 UrhG:

„Memorisierung liegt vor, wenn sich in den nach dem Training spezifizierten Parametern eine vollständige Übernahme der Trainingsdaten findet.“

Die Memorisierung stelle eine körperliche Festlegung des Werks dar, auch wenn die Daten in Form von Wahrscheinlichkeitswerten und Vektoren zerlegt sind. Eine Vervielfältigung gemäß § 16 UrhG erfasse jede körperliche Festlegung eines Werks, die geeignet ist, das Werk den menschlichen Sinnen auf irgendeine Art mittelbar oder unmittelbar wahrnehmbar zu machen.

Die Reproduzierbarkeit der Texte durch einfache Prompts (sog. Regurgitation) beweise, dass die Texte im Modell fixiert und mittelbar wahrnehmbar seien. Der technische Vorgang sei dabei aufgrund der technologieneutralen Auslegung des Vervielfältigungsrechts unerheblich.

II. Abgrenzung zur Text- und Data-Mining-Schranke

Das Gericht verneint eine Rechtfertigung dieser Memorisierung durch die Schrankenbestimmung des § 44b UrhG (Text- und Data-Mining, sog. TDM-Schranke). Hierzu nimmt das Gericht eine strikte Unterscheidung zwischen den verschiedenen Phasen des Trainingsprozesses vor.

1. Reichweite der TDM-Schranke

Die TDM-Schranke deckt nach Auffassung des Gerichts lediglich solche Vervielfältigungen ab, die zur Vorbereitung und Durchführung der Datenanalyse selbst erforderlich sind. Diese erste Phase, das Extrahieren und die Überführung des Materials in einen Trainingskorpus, ist vom Zweck des TDM gedeckt, da hier lediglich nicht-schöpferische Informationen (Muster, Trends, Korrelationen) gewonnen werden.

Die Vorschriften decken erforderliche Vervielfältigungen beim Zusammenstellen des Datenkorpus in Phase 1 (s.o.), nicht aber weitergehende Vervielfältigungen im Modell in Phase 2. Werden wie vorliegend beim Training in Phase 2 nicht nur Informationen aus Trainingsdaten extrahiert, sondern Werke vervielfältigt, stellt dies kein Text und Data Mining dar.

2. Memorisierung als Zwecküberschreitung

Die Memorisierung in der zweiten Phase (dem Training) überschreitet den von § 44b Abs. 2 UrhG geforderten Zweck:

„Die Memorisierung der streitgegenständlichen Liedtexte überschreitet hingegen eine solche Auswertung und ist daher kein bloßes Text- und Data-Mining.“

Die Vervielfältigungen im Modell, die zur Memorisierung führen, dienen nicht der weiteren Datenanalyse, sondern manifestieren sich als eine Verwertungshandlung des Werkes selbst, da das Werk in den Modellparametern vollständig übernommen wird. Damit entfällt die Prämisse der TDM-Schranke, dass die Verwertungsinteressen des Urhebers nicht berührt werden. Eine analoge Anwendung der Schranke verbietet sich, da hierdurch die berechtigten Interessen der Rechteinhaber verletzt und der durch die europarechtliche InfoSoc-Richtlinie geforderte hohe Schutzstandard unterlaufen würde.

III. Meine Kritik vor allem an der Auslegung der TDM-Schranke

Meiner Meinung nach legt das Gericht § 44b UrhG in einer Weise zu eng aus, die den technischen Realitäten des KI-Trainings nicht gerecht wird.

Das Gericht nimmt eine künstliche Trennung zwischen der zulässigen Vervielfältigung zur Datenanalyse und der unzulässigen Memorisierung im trainierten Modell vor. Für mich stellt der Vorgang des Trainings eines LLM einen untrennbaren, komplexen Akt des Text- und Data-Mining dar, der in seiner Gesamtheit auf die Extraktion von Mustern und Korrelationen gerichtet ist. Die Memorisierung ist keine eigenständige, beabsichtigte Verwertungshandlung, sondern ein unvermeidlicher oder zumindest schwer vermeidbarer technischer Nebeneffekt des an sich gestatteten TDM-Prozesses.

Die restriktive Qualifizierung der Memorisierung als vom TDM-Zweck nicht gedeckte Vervielfältigung macht die Schrankenbestimmung für die Anwendung auf moderne, generative KI-Modelle praktisch wertlos. Dies konterkariert den eigentlich gewünschten europarechtlichen Zweck, die Entwicklung von KI in der EU zu fördern. Ich halte es für wenig überzeugend, dass der Betreiber die Texte im Modell vervielfältigt habe, um sie später wieder wahrnehmbar zu machen. Der primäre Zweck ist die Generierung neuer Inhalte, nicht die Reproduktion der Inputs. Diese Auslegung droht, die Wirtschaftlichkeit des gesamten LLM-Trainings unter Verwendung urheberrechtlich geschützter Daten zu stark zu beschränken.

Zudem stellt sich die Frage, was mit der Verurteilung überhaupt erreicht wurde:

Das Landgericht München I hat die Beklagten bezüglich der Memorisierung unter anderem zu folgender Unterlassung verurteilt:

Die Beklagten werden verurteilt, es zu unterlassen, die im Tenor näher bezeichneten Werke (die neun Liedtexte) in ihren Large Language Model-Modellen zu vervielfältigen und/oder diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und/oder auf sonstigem Wege zu verwerten, soweit keine Lizenzierung vorliegt.

Was hat die Klägerseite durch diesen Unterlassungstenor gewonnen?

Der Klägerseite ist durch die Feststellung der Täterhaftung und des grundsätzlichen Schadensersatzanspruchs sicherlich ein wichtiger Erfolg gelungen.

Allerdings wirft die Formulierung des Unterlassungstenors die Frage nach ihrer Reichweite auf.

Die Verurteilung zur Unterlassung der Vervielfältigung zielt auf die Zukunft und soll die Wiederholungsgefahr (die Vervielfältigung von Neuem) verhindern. Die Memorisierung (die Vervielfältigung in das Modell) hat aber bereits stattgefunden.

Verpflichtet dieser Unterlassungstenor die Beklagte überhaupt dazu, ein „Machine Unlearning“ durchzuführen?

Diese Frage ist juristisch strittig. Ein Unterlassungsanspruch richtet sich primär auf die Beendigung der Wiederholungsgefahr. Die Entfernung der memorisierten Werke aus den Modellparametern – das sogenannte „Machine Unlearning“ – ist jedoch eine aktive, technisch aufwendige Handlung. Sie würde dem Beseitigungsanspruch zuzuordnen sein, der von der Klägerseite nach dem Tenor nicht ausdrücklich zugesprochen wurde.

Zwar könnte man argumentieren, dass die Beibehaltung der rechtswidrigen Vervielfältigung (Memorisierung) eine fortdauernde Begehung darstellt, deren Beendigung die Beseitigung implizieren könnte. Die herrschende Meinung neigt jedoch dazu, eine so weitreichende, aktive Eingriffspflicht in das Produkt des Verletzers nur bei einem explizit titulierten Beseitigungsanspruch anzunehmen. Die Beklagten könnten argumentieren, lediglich die erneute Vervielfältigung und die Regurgitation unterbinden zu müssen, nicht jedoch die aufwendige Korrektur des bereits existierenden, trainierten Modells. Ohne einen expliziten Beseitigungstenor bleibt die Verpflichtung zum „Machine Unlearning“ fraglich.


Gericht: LG München I (42. Zivilkammer)

Datum: 11.11.2025

Aktenzeichen: 42 O 14139/24

Fundstelle: GRUR-RS 2025, 30204

Urteil GEMA gegen Open AI

Die auf das Urheberrecht spezialisierte 42. Zivilkammer des Landgerichts München I hat mit Urteil vom heutigen Tag den von der GEMA gegen zwei Unternehmen der Unternehmensgruppe Open AI geltend gemachten Ansprüchen auf Unterlassungs-, Auskunfts- und Schadensersatz im Wesentlichen stattgegeben (Az. 42 O 14139/24).

Soweit die Klägerin darüber hinaus Ansprüche auf Grund einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wegen fehlerhafter Zuschreibung veränderter Liedtexte geltend gemacht hat, hat die Kammer die Klage abgewiesen.

Das Urteil betrifft die Liedtexte neun bekannter deutscher Urheberinnen und Urheber (darunter „Atemlos“ von Kristina Bach oder „Wie schön, dass du geboren bist“ von Rolf Zuckowski).

Die Klägerin ist eine Verwertungsgesellschaft und hat die Ansprüche als solche geltend gemacht. Zur Begründung hatte sie vorgetragen, die Liedtexte seien in den Sprachmodellen der Beklagten memorisiert und würden bei Nutzung des Chatbots auf einfache Anfragen der Nutzer als Antworten (Outputs) in weiten Teilen originalgetreu ausgegeben.

Die Beklagten sind Betreiber von Sprachmodellen und darauf basierender Chatbots. Sie hatten gegen die erhobenen Ansprüche eingewandt, ihre Sprachmodelle speicherten oder kopierten keine spezifischen Trainingsdaten, sondern reflektierten in ihren Parametern, was sie basierend auf dem gesamten Trainingsdatensatz erlernt hätten. Da die Outputs nur als Folge von Eingaben von Nutzern (Prompts) generiert werden würden, seien nicht die Beklagten, sondern der jeweilige Nutzer als Hersteller des Outputs für diese verantwortlich. Ohnehin seien eventuelle Rechtseingriffe von den Schranken des Urheberrechts, insbesondere der Schranke für das sogenannten Text- und Data-Mining gedeckt.

Nach der Entscheidung der erkennenden Kammer stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche sowohl aufgrund der gegebenen Vervielfältigung der Texte in den Sprachmodellen als auch durch ihre Wiedergabe in den Outputs zu.

Sowohl durch die Memorisierung in den Sprachmodellen als auch durch die Wiedergabe der Liedtexte in den Outputs des Chatbot lägen Eingriffe in die urheberrechtlichen Verwertungsrechte vor. Diese seien nicht durch Schrankenbestimmungen, insbesondere die Schranke für das Text und Data Mining gedeckt.

Im Einzelnen:

Nach Überzeugung der Kammer seien die streitgegenständlichen Liedtexte reproduzierbar in den Sprachmodellen 4 und 4o der Beklagten enthalten. Aus der informationstechnischen Forschung sei bekannt, dass Trainingsdaten in Sprachmodellen enthalten sein können und sich als Outputs extrahieren lassen. Dies werde als Memorisierung bezeichnet. Eine solche liege vor, wenn die Sprachmodelle beim Training dem Trainingsdatensatz nicht nur Informationen entnähmen, sondern sich in den nach dem Training spezifizierten Parametern eine vollständige Übernahme der Trainingsdaten finde. Eine solche Memorisierung sei durch einen Abgleich der Liedtexte, die in den Trainingsdaten enthalten waren, mit den Wiedergaben in den Outputs festgestellt. Angesichts der Komplexität und Länge der Liedtexte sei der Zufall als Ursache für die Wiedergabe der Liedtexte ausgeschlossen.

Durch die Memorisierung sei eine Verkörperung als Voraussetzung der urheberrechtlichen Vervielfältigung der streitgegenständlichen Liedtexte durch Daten in den spezifizierten Parametern des Modells gegeben. Die streitgegenständlichen Liedtexte seien reproduzierbar in den Modellen festgelegt. Gemäß Art. 2 InfoSoc-RL liege eine Vervielfältigung „auf jede Art und Weise und in jeder Form“ vor. Die Festlegung in bloßen Wahrscheinlichkeitswerten sei hierbei unerheblich. Neue Technologien wie Sprachmodelle wären vom Vervielfältigungsrecht nach Art. 2 InfoSoc-RL und § 16 UrhG erfasst. Nach der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofes sei für die Vervielfältigung ausreichend eine mittelbare Wahrnehmbarkeit, die gegeben sei, wenn das Werk unter Einsatz technischer Hilfsmittel wahrgenommen werden könne.

Diese Vervielfältigung in den Modellen sei weder durch die Schrankenbestimmungen des Text und Data Mining des § 44b UrhG noch durch § 57 UrhG als unwesentliches Beiwerk gedeckt.

Zwar unterfielen Sprachmodelle grundsätzlich dem Anwendungsbereich der Text und Data Mining Schranken. Die Vorschriften deckten erforderliche Vervielfältigungen beim Zusammenstellen des Datenkorpus für das Training, wie etwa die Vervielfältigung eines Werks durch seine Überführung in ein anderes (digitales) Format oder Speicherungen im Arbeitsspeicher. Hintergrund hierfür sei der Gedanke, dass diese Vervielfältigungen lediglich zu nachfolgenden Analysezwecken erstellt würden und damit die Verwertungsinteressen des Urhebers am Werk nicht beeinträchtigten. Da diese für das Text und Data Mining rein vorbereitenden Handlungen kein Verwertungsinteresse berührten, sehe das Gesetz keine Vergütungspflicht gegenüber dem Urheber vor.

Würden beim Training – wie hier – nicht nur Informationen aus Trainingsdaten extrahiert, sondern Werke vervielfältigt, stelle dies nach Auffassung der Kammer kein Text und Data Mining dar. Die Prämisse des Text und Data Mining und der diesbezüglichen Schrankenbestimmungen, dass durch die automatisierte Auswertung von bloßen Informationen selbst keine Verwertungsinteressen berührt sind, greife in dieser Konstellation nicht. Im Gegenteil, durch die gegebenen Vervielfältigungen im Modell werde in das Verwertungsrecht der Rechteinhaber eingegriffen.

Eine andere, mutmaßlich technik- und innovationsfreundliche Auslegung, die ebenfalls Vervielfältigungen im Modell von der Schranke als gedeckt ansehen wollte, verbiete sich angesichts des klaren Wortlauts der Bestimmung. Auch eine analoge Anwendung komme nicht in Betracht. Selbst wenn man eine planwidrige Regelungslücke annehmen wollte, weil dem Gesetzgeber die Memorisierung und eine damit einhergehende dauerhafte urheberrechtlich relevante Vervielfältigung in den Modellen nicht bewusst gewesen sein sollte, mangele es an einer vergleichbaren Interessenlage. Die Schrankenregelung normiere mit der Zulässigkeit vorbereitender Vervielfältigungshandlungen beim Text und Data Mining einen Sachverhalt, bei dem die Verwertungsinteressen der Urheber nicht gefährdet seien, weil bloße Informationen extrahiert und das Werk als solches gerade nicht vervielfältigt werde. Bei Vervielfältigungen im Modell werde die Werkverwertung hingegen nachhaltig beeinträchtigt und die berechtigten Interessen der Rechteinhaber hierdurch verletzt. Die Urheber und Rechteinhaber würden durch eine analoge Anwendung der Schrankenbestimmung, die keine Vergütung für die Verwertung vorsieht, somit schutzlos gestellt. Das Risiko der Memorisierung stamme allein aus der Sphäre der Beklagten. Bei einer Analogie der Schranke würde ausschließlich der verletzte Rechteinhaber dieses Risiko tragen.

Mangels Vorliegens eines Hauptwerks stellten die Vervielfältigungen der streitgegenständlichen Liedtexte kein unzulässiges Beiwerk nach § 57 UrhG dar. Entgegen der Ansicht der Beklagten seien die Liedtexte nicht neben dem gesamten Trainingsdatensatz als nebensächlich und verzichtbar anzusehen. Hierfür wäre erforderlich, dass es sich bei dem gesamten Trainigsdatensatz ebenfalls um ein urheberrechtlich geschütztes Werk handele.

Der Eingriff der Beklagten in die Verwertungsrechte der Klägerin sei auch nicht durch eine Einwilligung der Rechteinhaber gerechtfertigt, da das Training von Modellen nicht als eine übliche und erwartbare Nutzungsart zu werten sei, mit der der Rechteinhaber rechnen müsse.

Auch durch Wiedergabe der Liedtexte in den Outputs des Chatbots hätten die Beklagten nach der Entscheidung der Kammer unberechtigt die streitgegenständlichen Liedtexte vervielfältigt und öffentlich zugänglich gemacht. In den Outputs wären die originellen Elemente der Liedtexte stets wiedererkennbar.

Hierfür seien die Beklagten und nicht die Nutzer verantwortlich. Die Outputs seien durch einfach gehaltene Prompts generiert worden. Die Beklagten betrieben die Sprachmodelle, für die die Liedtexte als Trainingsdaten ausgewählt und mit denen sie trainiert worden sind. Sie seien für die Architektur der Modelle und die Memorisierung der Trainingsdaten verantwortlich. Damit hätten die von den Beklagten betriebenen Sprachmodelle die ausgegebenen Outputs maßgeblich beeinflusst, der konkrete Inhalt der Outputs werde von den Sprachmodellen generiert.

Der Eingriff in die Verwertungsrechte durch die Outputs sei ebenfalls nicht durch eine Schrankenbestimmung gedeckt.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Zum Hintergrund:

Normen:

Art. 2, 3 InfoSoc-RL, Art. 4 DSM-RL

Pressemitteilung des LG München I vom 11.11.25

Keine Unterlassung ohne Erkennbarkeit – LG Berlin schützt Medienfreiheit bei Berichten über „Führungsspitze“

Das Landgericht Berlin (27. Zivilkammer) hat mit Beschluss vom 4. September 2025 entschieden, dass ein Unterlassungsanspruch wegen einer angeblichen Persönlichkeitsrechtsverletzung durch eine Presseberichterstattung nicht besteht, wenn die Betroffenen aus dem Beitrag nicht hinreichend identifizierbar sind. Die Entscheidung stärkt die Pressefreiheit und grenzt sie zugleich gegenüber Persönlichkeitsrechten klar ab.

Hintergrund des Falls

Mehrere Antragsteller wandten sich im einstweiligen Verfügungsverfahren gegen einen Pressebericht, der sich mit einer „finanziellen Schieflage“ des Versorgungswerks einer Kammer befasste. In dem Bericht wurde von angeblichen Verfehlungen innerhalb der „Führungsspitze“ des Versorgungswerks gesprochen. Die Antragsteller, frühere Mitglieder eines Ausschusses des Versorgungswerks, sahen sich durch diese pauschale Darstellung identifiziert und in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt.

Die Entscheidung des Gerichts

Das LG Berlin wies den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück. Entscheidend war für das Gericht, dass die Antragsteller durch die Berichterstattung nicht individuell und unmittelbar betroffen waren. Denn:

  • Der Begriff „Führungsspitze“ wurde nicht näher konkretisiert.
  • Es fehlten jegliche individualisierende Angaben wie Namen, Alter, Funktion oder sonstige persönliche Merkmale.
  • Das Versorgungswerk verfügt über mehrere Gremien mit zahlreichen Mitgliedern, wodurch eine eindeutige Zuordnung der genannten Vorwürfe zu den Antragstellern nicht möglich war.

Selbst ein begrenzter Leserkreis könne die Antragsteller nicht mit der erforderlichen Sicherheit identifizieren. Das Gericht stellte klar, dass auch Sonderwissen einzelner Rezipienten (etwa aus dem persönlichen Umfeld der Betroffenen) nicht ausreicht, um eine äußerungsrechtlich relevante Erkennbarkeit zu begründen. Andernfalls wäre nahezu jede anonymisierte Berichterstattung angreifbar – ein unzulässiger Eingriff in die Pressefreiheit.

Öffentliches Interesse überwiegt

Das Gericht betonte zudem, dass ein überragendes öffentliches Interesse an der Berichterstattung über die wirtschaftliche Lage eines berufsständischen Versorgungswerks besteht. Die Presse durfte über die internen Missstände berichten, zumal die Informationen auf wahren Tatsachen basierten. Auch eine unzulässige Verdachtsberichterstattung lag nicht vor, weil die journalistische Darstellung auf konkreten, nicht widerlegten Tatsachengrundlagen beruhte.

Fazit für Unternehmer und Medien

Diese Entscheidung verdeutlicht erneut, dass für einen rechtlich erfolgreichen Angriff auf Medieninhalte eine eindeutige persönliche Identifizierbarkeit notwendig ist. Unternehmen, Funktionsträger oder Ausschussmitglieder, die sich durch pauschale Kritik in Presseberichten getroffen fühlen, müssen darlegen können, dass sie für die Leserschaft klar erkennbar sind. Andernfalls genießen Medien weitgehenden Schutz durch die Meinungs- und Pressefreiheit.


Gericht: Landgericht Berlin (27. Zivilkammer)
Datum: 04.09.2025
Aktenzeichen: 27 O 285/25 eV
Fundstelle: GRUR-RS 2025, 22735

OLG Stuttgart zur Zulässigkeit negativer Google-Bewertungen durch Mandanten

Online-Bewertungen sind aus dem Geschäftsalltag nicht mehr wegzudenken. Doch was passiert, wenn ein Mandant nach einer unzufriedenen Zusammenarbeit mit seinem Anwalt eine verärgerte Bewertung auf Google hinterlässt? Kann sich die Kanzlei dagegen wehren? Das Oberlandesgericht Stuttgart hat hierzu mit Urteil vom 29. September 2025 (Az. 4 U 191/25) eine klare Entscheidung getroffen – mit weitreichenden Konsequenzen für alle Dienstleister.

Ein Mandant hatte sich nach eigener Darstellung schlecht betreut gefühlt und dies in einer ausführlichen Bewertung auf Google veröffentlicht. Die Aussagen reichten von „unvorbereitet auf unsere Treffen“ über „wichtige Fristen verpasst“ bis hin zur Aufforderung, sich von der Kanzlei „fernzuhalten“. Die betroffene Kanzlei verlangte die Löschung dieser Bewertung – teilweise mit Erfolg vor dem Landgericht Tübingen. Doch das OLG Stuttgart hob diese Entscheidung in der Berufung vollständig auf.

Das OLG Stuttgart stellte klar: Bei den angegriffenen Aussagen handelt es sich um Meinungsäußerungen – und diese sind durch Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes geschützt. Eine Bewertung bleibt auch dann zulässig, wenn sie überspitzt formuliert ist oder für das bewertete Unternehmen geschäftsschädigend wirkt. Solange die Kritik nicht auf Schmähung oder unwahren Tatsachen beruht, sind selbst harte Worte erlaubt.

Konkret betonte das Gericht, dass auch negative Aussagen mit kritischem Ton unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen. Für die rechtliche Einordnung ist entscheidend, ob für die Meinung eine tatsächliche Grundlage besteht – nicht, ob sie juristisch korrekt oder objektiv nachvollziehbar ist. Die subjektive Sicht eines juristischen Laien reicht als Bewertungsmaßstab aus. Im vorliegenden Fall sah das Gericht bei allen Äußerungen eine tatsächliche Grundlage im E-Mail-Verkehr zwischen Mandant und Anwalt. Der Mandant hatte etwa tatsächlich mehrfach auf Fristen hingewiesen oder den Eindruck gewonnen, dass zentrale rechtliche Aspekte seines Falls nicht beachtet wurden.

Besonders deutlich hob das Gericht hervor, dass keine Schmähkritik vorlag. Zwar war der Ton scharf und deutlich – aber immer noch auf die Leistung der Kanzlei bezogen und nicht auf deren Herabwürdigung um ihrer selbst willen. Eine rein herabsetzende Diffamierung, die die Grenze zur Schmähkritik überschreiten würde, sei nicht erkennbar.

Das Urteil verdeutlicht, dass Kanzleien – wie andere Unternehmen auch – kritische Bewertungen grundsätzlich hinnehmen müssen, selbst wenn diese rufschädigend sein können. Die Schwelle für eine gerichtliche Löschung ist hoch. Wer im Internet sichtbar ist, muss mit Bewertungen leben – auch mit schlechten. Ein strategischer Umgang mit Online-Kritik ist daher umso wichtiger: Sachliche Reaktion statt juristische Drohung, interne Qualitätskontrolle bei wiederholter Kritik und aktive Sammlung positiver Bewertungen zufriedener Mandanten.

Die Meinungsfreiheit schützt auch überspitzte Kritik, solange sie nicht aus der Luft gegriffen ist. Kanzleien haben zwar ein berechtigtes Interesse am Schutz ihrer Reputation – doch der Schutz endet dort, wo Meinungen beginnen. Dieses Urteil stärkt die Position von Verbrauchern und Mandanten, mahnt Dienstleister aber zugleich zu professioneller Selbstreflexion.

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Datum: 29.09.2025
Aktenzeichen: 4 U 191/25
Fundstelle: GRUR-RS 2025, 26846

Hatefluencer, Meinungsfreiheit und Wettbewerb: Was Influencer übereinander sagen dürfen

In einer aktuellen Entscheidung hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 17.07.2025 – 16 U 80/24) die Grenzen zulässiger Äußerungen unter Influencern ausgelotet. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob öffentliche Aussagen über andere Contentcreator nicht nur Persönlichkeitsrechte verletzen, sondern auch gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen können. Das Gericht hat beides differenziert beantwortet.

Was war passiert?

Zwei bekannte Influencer standen sich in einem einstweiligen Verfügungsverfahren gegenüber. Die Antragstellerin, eine Streamerin mit feministischem und gesellschaftspolitischem Fokus, verlangte die Unterlassung zahlreicher Äußerungen des Antragsgegners, einem ebenfalls reichweitenstarken Influencer. In mehreren Videos hatte er sie unter anderem als „Hatefluencerin“ bezeichnet, ihr vorgeworfen, Menschen zu Unrecht sexueller Belästigung zu bezichtigen, sowie behauptet, ihr Geschäftsmodell bestehe darin, Hass und Fake News zu verbreiten.

Die rechtliche Bewertung des Gerichts

Das OLG Frankfurt stellte zunächst klar, dass Unterlassungsansprüche wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durchaus begründet sein können, wenn Äußerungen ehrverletzend sind oder unzutreffende Tatsachen verbreiten. So untersagte das Gericht dem Antragsgegner bestimmte Äußerungen, weil sie unbewiesen waren und geeignet, den Ruf der Antragstellerin erheblich zu schädigen. Das betraf insbesondere die Behauptung, sie habe anderen Personen wiederholt sexuelle Belästigung unterstellt.

Hingegen wies das Gericht andere Unterlassungsanträge zurück, etwa zur Bezeichnung der Antragstellerin als „Hatefluencerin“ oder zur Kritik an ihrem Verhalten als „misogyn“. Hier handle es sich um wertende Meinungsäußerungen, die durch Art. 5 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützt seien. Die streitigen Begriffe würden sich zwar negativ auf das Ansehen auswirken, seien aber im Rahmen einer öffentlichen Debatte hinzunehmen, solange sie auf einem tatsächlichen Kontext basieren und nicht allein der Herabwürdigung dienen.

Kein Wettbewerbsverhältnis – keine Ansprüche nach UWG

Hervorzuheben ist die wettbewerbsrechtliche Komponente: Die Antragstellerin argumentierte, die Äußerungen des Gegners hätten gezielt ihre wirtschaftlichen Interessen geschädigt und seien als unlautere geschäftliche Handlung zu bewerten. Dem folgte das Gericht nicht. Es verneinte bereits das Vorliegen eines Wettbewerbsverhältnisses. Zwar seien beide Influencer am Markt tätig, doch diene die streitige Äußerung nicht der Absatzförderung, sondern sei Teil einer öffentlichen Auseinandersetzung. Damit fehlte es an einer geschäftlichen Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG.

Fazit: Was Influencer beachten müssen

Das Urteil macht deutlich: Auch unter Influencern gelten Regeln für den Umgang miteinander. Kritik und pointierte Meinungsäußerungen sind grundrechtlich geschützt, müssen aber auf wahren Tatsachen beruhen. Wer falsche Tatsachen über andere verbreitet, riskiert eine Unterlassungsverfügung. Wettbewerbsrechtliche Maßstäbe greifen aber nur, wenn ein konkretes Wettbewerbsverhältnis und eine geschäftliche Absicht vorliegen. Diese Hürde ist bei rein meinungsgetriebenen Videos hoch.

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt am Main
Datum: 17.07.2025
Aktenzeichen: 16 U 80/24
Fundstelle: GRUR-RS 2025, 17821

Gericht stärkt Rechte von Miturhebern bei Preisverleihungen

Worum ging es?

Ein Regisseur, der an der 2. Staffel der beliebten Netflix-Serie „Kaulitz & Kaulitz“ mitgewirkt hatte, wurde bei der offiziellen Bekanntgabe der Nominierungen für den Deutschen Fernsehpreis 2025 nicht namentlich erwähnt. Stattdessen präsentierte die Preisverleiherin auf ihrer Webseite nur zwei andere Regisseure als das verantwortliche „Regie-Duo“. Der übergangene Regisseur ging rechtlich dagegen vor – mit Erfolg.

Der Kern der Entscheidung

Das Landgericht Köln hat entschieden: Auch ohne Werknutzung besteht ein Anspruch auf Namensnennung, wenn die Miturheberschaft öffentlich infrage gestellt oder verschwiegen wird. Das Gericht stellte klar, dass § 13 UrhG nicht auf Nutzungshandlungen beschränkt ist. Schon die Veröffentlichung falscher oder irreführender Informationen zur Autorenschaft – wie hier durch die Nennung eines angeblichen exklusiven Regie-Duos – stellt eine Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts dar.

Der Kläger forderte nicht etwa eine nachträgliche Nominierung – die steht ihm nach Ansicht des Gerichts auch nicht zu. Es ging ausschließlich um die richtige öffentliche Darstellung seiner Mitwirkung an der Serie. Und genau hier lag die Verletzung: Die Darstellung auf der Website der Verfügungsbeklagten vermittelte objektiv den Eindruck, er habe mit der Regie nichts zu tun gehabt.

Warum ist das wichtig für Unternehmer?

Diese Entscheidung ist wegweisend für Produzenten, Preisverleiher und alle, die Inhalte öffentlich präsentieren:

  • Die richtige Urheberbenennung ist Pflicht, auch bei Nominierungen, Pressetexten oder Webseiten.
  • Selbst wer kein Werk nutzt, kann zur Namensnennung verpflichtet sein, wenn er Aussagen über ein Werk trifft.
  • Federführung spielt keine Rolle, solange eine Miturheberschaft besteht.
  • Wer nicht den Namen von Urhebern nennen möchte, benötigt einen Verzicht des Urhebers auf Namensnennung.

Die Wirkung dieser Entscheidung reicht dabei weit über die Fernseh- und Filmbranche hinaus. Auch in anderen Bereichen – etwa bei der Nennung von Fotografen auf Veranstaltungsflyern, Musikern in Streamingportalen oder Designern in Produktpräsentationen – ist eine korrekte und vollständige Namensnennung rechtlich geboten. Wer hier selektiv vorgeht oder Mitwirkende unterschlägt, setzt sich dem Risiko urheberrechtlicher Abmahnungen aus.

Fazit

Mit dieser Entscheidung führt das Landgericht Köln die urheberfreundliche Rechtsprechung zur Namensnennung konsequent fort. Das Gericht stellt klar: Auch außerhalb der klassischen Werkverwertung – etwa im Kontext von Preisverleihungen – besteht ein berechtigter Anspruch auf Anerkennung der Urheberschaft, wenn durch öffentliche Kommunikation der Eindruck entsteht, ein Miturheber sei nicht beteiligt gewesen.

Gleichzeitig stellt sich jedoch die Frage, ob der Verfügungskläger mit diesem Verfahren gut beraten war. Der Deutsche Fernsehpreis ist der renommierteste Preis der deutschen TV-Branche. An seiner Ausrichtung sind alle großen Sender – öffentlich-rechtlich wie privat – und mittlerweile auch führende Streaminganbieter beteiligt. Ein öffentliches Vorgehen, wie es hier gewählt wurde, kann daher auch mit Risiken verbunden sein, etwa für zukünftige Zusammenarbeiten.


Gericht: Landgericht Köln
Datum: 09.09.2025
Aktenzeichen: 14 O 294/25

Privatsphäre vs. Öffentliches Interesse: Gericht verbietet Luftbild eines Promi-Anwesens

Das Landgericht Köln hat mit Urteil vom 27. Juni 2025 (Az. 28 O 18/25) entschieden, dass die Veröffentlichung einer Luftbildaufnahme vom Haus eines prominenten Schauspielers und Umweltaktivisten in Kalifornien einen rechtswidrigen Eingriff in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht darstellt. Die Entscheidung zeigt exemplarisch, wie sorgfältig Gerichte zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Schutz der Privatsphäre abwägen.

Was war passiert?

Das Wohnhaus des prominenten Klägers in Los Angeles wurde bei einem verheerenden Waldbrand Anfang 2025 völlig zerstört. Wenige Wochen später veröffentlichte ein deutsches Online-Magazin einen Artikel über den Brand und zeigte darin eine Luftaufnahme des Anwesens. Auf dem Foto war das Grundstück klar erkennbar, ebenso der Ortsteil Pacific Palisades sowie die Meeresnähe, sodass eine Lokalisierung möglich war.

Der Kläger wehrte sich

Der Kläger sah seine Privatsphäre verletzt und beantragte im Wege der einstweiligen Verfügung die Unterlassung. Er argumentierte, dass die Verknüpfung von Bild und Ortsangabe die Anonymität seines Rückzugsortes zerstöre. Auch bestehe die Gefahr, dass Kriminelle das Objekt leichter auffinden und ausspähen könnten. Die Gegenseite hielt dem entgegen, dass das Foto keine tiefen Einblicke gewähre und die Berichterstattung durch das öffentliche Interesse gedeckt sei.

Das sagt das Gericht

Das LG Köln stellte klar, dass auch Prominente ein Recht auf Schutz ihrer Rückzugsorte haben. Zwar genießt die Pressefreiheit grundgesetzlichen Schutz, sie findet aber ihre Grenzen dort, wo das allgemeine Persönlichkeitsrecht in unzumutbarer Weise beeinträchtigt wird.

Im konkreten Fall wog das Gericht die Interessen ab: Zwar habe der Kläger öffentlich über das Haus und dessen Nutzung gesprochen, jedoch nie konkrete Informationen zur Lage preisgegeben. Die Kombination aus Luftaufnahme und Ortsbeschreibung habe zur Folge, dass das Anwesen mit wenig Aufwand auffindbar sei – insbesondere durch Tools wie Google Earth. Dies beeinträchtige die Funktion des Hauses als persönlicher Rückzugsort.

Auch wenn der Kläger das Haus derzeit nicht nutzt und einen Verkauf erwägt, besteht nach Ansicht des Gerichts ein berechtigtes Interesse daran, das Grundstück auch zukünftig unbeobachtet nutzen zu können.

Fazit für die Praxis

Mit der stets zunehmenden Nutzung von Drohnen- und Luftbildaufnahmen im privaten wie auch beruflichen Bereich wächst zugleich das Risiko, dass durch solche Aufnahmen Rückschlüsse auf Personen oder deren Wohn- bzw. Rückzugsorte gezogen werden können. Unternehmer sollten daher bei Drohnenaufnahmen folgende Punkte besonders beachten:

Im Zweifelsfall empfiehlt sich eine rechtliche Prüfung im Vorfeld – z. B. ob durch die Aufnahme eine unzumutbare Persönlichkeitsrechtsverletzung eingetreten sein könnte.

Schon das Überfliegen und Aufnehmen mit Kamera von Grundstücken oder privaten Bereichen kann das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen verletzen.

Auch wenn nur Gebäude, Außenansichten oder Grundstücke abgebildet werden: Wenn die Kombination aus Bild und zusätzlicher Information eine eindeutige Lokalisierung ermöglicht, ist eine Verletzung der Privatsphäre möglich.

Der Betrieb von Drohnen unterliegt einer Reihe von gesetzlichen Vorschriften (z. B. Registrierungspflicht, maximale Höhe, Sichtweite) – Verstöße können Bußgelder oder strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Der Schutz der Privatsphäre gilt auch bei Prominenten oder öffentlichen Personen: Es kommt darauf an, ob ein Rückzugsort erkennbar beeinträchtigt wird.

Unternehmer sollten daher vor Veröffentlichung von Luft- bzw. Drohnenaufnahmen prüfen: Gibt es eine Einwilligung? Ist eine Identifikation der Person oder des Ortes möglich? Wird nur veröffentlicht, was hinzunehmen ist?

Gericht: Landgericht Köln
Datum: 27.06.2025
Aktenzeichen: 28 O 18/25
Fundstelle: ZUM-RD 2025, 508